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Es dunkelt bereits, der Boden links und rechts der Straße ist staubig und die wenigen Pflanzen sind dornig und abweisend. Wir machen uns auf die Suche nach einem angenehmeren Nachtlager, fröhliche und lachende Kinder begleiten uns und zeigen auf ein paar Häuser, die gerade noch schemenhaft im Dunkeln erkennbar sind. Wir fahren hin und werden von einer Familie herzlich und freundlich aufgenommen. Die Menschen sprechen Tadschikisch, was sich nur wenig vom Persischen unterscheidet und auch die Herzlichkeit der Aufnahme, das Umsorgen der Gäste wirkt als seien wir in den Iran zurückgekehrt. Wir essen einfach, aber lecker zu Abend, bekommen ein Zimmer für uns vier und unterhalten uns noch mit unseren Gastgebern, was mit Anoucks Persischkenntnissen natürlich gut funktioniert.

Die ersten Berge gleich hinter der Grenze


Als wären wir in den Iran zurückgekehrt

Die Gastfreundschaft ist warmherzig und schön, aber sie erfüllt bei mir auch noch einen weiteren Zweck. Die Erfahrung netter Menschen beruhigt, liegt doch die Nachricht des Terroranschlags auf eine Gruppe Fahrradfahrer, bei der es vier Tote gab, erst ein paar Wochen zurück. Als ich die Nachricht damals im Iran erfuhr, war meine erste Reaktion, die Route neu zu planen, Tadschikistan zu meiden und damit genau das zu tun, was die Terroristen erreichen wollten. Nach etlichen Gesprächen, Überlegungen, Berichten von Reiseradlern, die unbekümmert weiter Tadschikistan bereisten, sind wir zu dem Schluss gekommen, uns doch an das Abenteuer zu wagen. Die Phantasiebilder des Anschlags bleiben mir aber präsent, als wir am nächsten Tag weiterfahren: das Auto, das von hinten in die Gruppe gerast ist, die nachfolgenden Messerattacken und Daria wie ich ertappen uns dabei, immer wieder in den Rückspiegel zu blicken, als hätten wir die Chance, einem mutwilligen Angriff auszuweichen.

Doch die Begegnungen entlang der Straße wirken. Wir werden von einem energischen, herzlichen Mann zum Mittagessen eingeladen, fahren ein paar Minuten durch ein einfaches Dorf und parken unsere Fahrräder hinter einem eisernen Tor. Die ganze Großfamilie ist da, die Kinder sausen aufgeregt durch den Garten, die Jugendlichen inspizieren unsere Trikes und versuchen sich in ein wenig englischer Kommunikation. Die Großmutter kocht auf offenem Feuer frischen Plov, ein tadschikisches Nationalgericht aus Reis, Karotten, Zwiebeln und Lammfleisch. Wir sitzen gemütlich in einer Art Wintergarten, freuen uns an den farbenfroh gestrichenen Wänden und an der entspannenden wie auch interessanten Pause. Als wir weiterfahren wollen, merken wir, dass sich unsere Anwesenheit anscheinend im ganzen Dorf herumgesprochen hat. Jedenfalls ist eine Heerschar Kinder da, es gibt ein großes Hallo und sie fordern James und mich auf, mit ihnen Fußball zu spielen. Wir kicken und tricksen mit ihnen eine Weile zwischen den Häusern umher, werden zur Straße von einer Traube Menschen begleitet und setzen dann unsere Fahrt fort.

Mittagspause…


… mit Plov …

… und Fußball!

Die Erwartung, dass direkt hinter der Grenze die Berge beginnen, erfüllt sich voll und ganz. Schon nach wenigen Kilometern ragen sie links und rechts beeindruckend in die Höhe und auch wir bewegen uns langsam und stetig nach oben. Der Talgrund ist üppig bewachsen mit schlanken, turmhohen Pappeln, auf den abgeernteten Feldern grasen Kühe, es gibt wieder einen natürlichen Fluss und wir sind gerade rechtzeitig zur Apfelernte hier. Entlang des Weges bekommen wir immer wieder reife, grüne und rote Früchte zugesteckt. Was in Armenien die Aprikosen waren, sind in Tadschikistan die Äpfel. Perfekte Reife, ein Saft, der uns beim ersten Bissen den Mund füllt und jede Sorte ein anderes, herrliches Aroma. Jetzt, wo wir mittendrin sind, merke ich erst, wie sehr ich die Berge vermisst habe. Ich atme mit Freude die klare, kühle Luft, genieße den Duft nach Wiesen und Kühen und freue mich am Spiel der Sonne. Wir finden traumhafte Nachtlager in Obsthainen und schlagen das Zelt seit Wochen mal wieder auf grünem Gras auf.

Traumblick vom Zeltplatz


Idyll zum Übernachten

Wir kommen in friedlicher Absicht!


Aprikosenaffen

Nach etlichen Kilometern durch eher lichte, freundliche Landschaft rücken die Berge an uns heran, das Tal wird enger, und die kleinen Dörfer ducken sich an den wenigen Stellen, die etwas Platz bieten in die Nischen unter mächtigen Felswänden. Nach der üppigen Leichtigkeit in Usbekistan wirkt das Leben der Menschen hier rauher, einfacher und wilder. In den Straßen laufen uns Kinder hinterher, teils lustig und fröhlich, teils auch penetrant und mit unterschwelliger Aggression. Ich habe den Eindruck, dass hier ein Nadelöhr ist, durch das alle Touristen kommen, die Kinder sich schon ein wenig an deren Anblick gewöhnt haben und den Kitzel der Begegnung immer weiter steigern wollen. Einmal werde ich wirklich sauer, als ein Kind mich mit Weintrauben bewirft und irgendwann merke ich, dass meine bayerische Fahne fehlt. Vielleicht ist sie rausgefallen, vielleicht wurde sie rausgezogen. Ich weiß es nicht. James und Anouck sind ein paar Kilometer vorausgefahren, wir fahren durch immer engere, grandiose Schluchten und die Berge werden wilder und wilder.

Urmietan vor Dreitausendern


Durch die Schluchten des Pamir

In einem kleinen Ort verabreden wir uns und unsere Freunde haben einen schönen Zeltplatz auf dem Gelände des örtlichen Krankenhauses ausfindig gemacht. Wir werden herzlich begrüßt und es stellt überhaupt kein Problem dar, dass wir hier zelten wollen. Der Platz ist schattig unter Bäumen, es gibt fließend eiskaltes Wasser und ein kleines, einfaches Café auf dem Gelände, wo wir zu Abend essen. Die Nacht bricht herein und zum ersten Mal seit Monaten wird es richtig kühl, sobald die Sonne hinter den Bergen verschwindet und sich die langen Schatten im Tal ausbreiten. Wir ziehen uns in den Schutz der Zelte zurück, ziehen die Schlafsäcke zu und lauschen dem Rauschen des Flusses und dem Wind in den Bäumen. Nachts ist mir kurz, als würde ich Geräusche neben dem Zelt hören, doch der Schlaf ist sogleich wieder da.

Der Krankenwagen an der Klinik von Aini


Kleines Cafe beim Krankenhaus

Am nächsten Morgen stehen wir mit der Sonne auf, was durch die hohen Berge gar nicht so früh ist. Ich gehe rüber zu meinem Trike, um die Thermoskanne mit warmem Wasser zu holen, doch diese ist nicht da. Etwas verwundert durchwühle ich die Seitentasche und bemerke, dass noch mehr Dinge fehlen: der Selfiestick, das Schwebestativ, die Regenhülle. James ist auch schon munter und auch bei ihm und Anouck fehlen Dinge. Wir sind hier auf dem Krankenhausgelände, wo es einen Wachmann gibt und alles völlig sicher wirkte, bestohlen worden! Wir sprechen mit dem Besitzer des Cafés, mit dem Wachmann, doch anscheinend war nachts alles ruhig. Schließlich entscheiden wir, die Polizei zu informieren, zwar mit wenig Hoffnung, aber zumindest mit dem Gefühl, nicht völlig untätig zu sein. Nach etwa einer Viertelstunde erscheint ein uniformierter Polizist, hört sich unsere Story an und beginnt mit ernstem Gesicht eine Bestandsaufnahme. Wir erläutern ihm die einzelnen Gegenstände, suchen Bilder auf dem Handy bei Verständnisschwierigkeiten („Was heißt eigentlich Schwebestativ auf Russisch?“) und nach einer Weile geht er wieder. Geht, um mit seinem Chef, dessen Chef und wiederum dessen Chef wiederzukommen. Schließlich sind etwa zehn Polizisten auf dem Gelände, wir erzählen noch das eine und andere Mal, was weggekommen ist und als der alte, offensichtlich arme Wachmann streng verhört wird, bereue ich fast, die Polizei gerufen zu haben. Schließlich will ich nicht, dass wegen ein paar verlorener Gegenstände jemand seinen Job verliert, der im Alter wirklich auf das bisschen Geld angewiesen ist. Dann hat einer der jovialen, ein wenig machohaften Polizeichefs einen Vorschlag. Wir sollen einen Tag hier verbringen, er fährt mit uns zu einem schönen Gebirgssee in der Nähe, seine Leute machen ihre Arbeit und wir sehen abends, ob ein Erfolg da ist. Keiner von uns glaubt daran, doch die Aussicht auf einen netten Ausflug spricht uns an.

Unscharfes Bild, scharfe Verhöre!


Mit dem Polizeichef beim Ausflug

Und so befinden wir uns kurze Zeit später zu viert auf den Rücksitzen eines Geländewagens und fahren durch atemberaubende Landschaft in kühnen Serpentinen hinauf in die Berge. Ich muss glaube ich nicht extra erwähnen, dass Anschnallpflicht hier nicht einmal für Polizeiautos gilt. Die Berge zeigen ihren geologischen Ursprung in bunten Schichten und wir spazieren ein paar hundert Meter entlang eines leuchtenden Flusses bis zu einem Gischt sprühenden, tosenden Wasserfall. Am Ende der Autofahrt erreichen wir den See, der uns versprochen wurde, und es ist in der Tat beeindruckend. Wie ein türkis-blauer Edelstein liegt er inmitten steil aufragender Berge, das Sonnenlicht glitzert auf dem Wasser und ehrwürdige alte Bäume stehen bis direkt am Ufer. Aus Sowjetzeiten stehen einige Ferienhäuser hier und ich kann mir gut vorstellen, dass man hier einen sehr entspannten Urlaub verbringen kann. Wir fahren noch ein paar Kilometer am See entlang, bis wir am gegenüberliegenden Ende, idyllisch gelegen, geschützt von einer hohen Felswand ein prachtvolles Anwesen erreichen. Der Polizeichef sagt uns, dass dies eine der Datschas des Präsidenten sei und betont mit einem Anflug von Stolz, dass er natürlich einen Schlüssel habe. Wir spazieren auf dem Gelände herum, holen von einer eiskalten Quelle das angeblich beste Wasser Tadschikistans und fahren zurück zu den Ferienhäusern auf der anderen Seite. Dort wurde zwischenzeitlich für uns Essen zubereitet und wir speisen königlich. Eine ordentliche Portion Wodka rundet das Mahl ab und wir machen uns auf den Rückweg. Kurz vorher erhält der Polizeichef noch einen Anruf von seinen Leuten und sagt, er sei zuversichtlich bezüglich des Fahndungserfolgs. Wir sind das nicht und ehrlich gesagt, halte ich diese Ankündigung für Angeberei. Egal. Wir hatten einen wunderschönen Ausflug, sind über die Maßen gesättigt und leicht angedüdelt vom Schnaps.

Ausflug mit Polizei


Tosendes Wasser

Bergsee


Schöne und das Biest 

Des Präsidenten Residenz


Wir wären jetzt da, Mr. President!

Jetzt gibts zu essen und zu trinken!

Zurück im Ort geht´s gleich zur Polizeistation. Dort erwartet uns das Ermittlungsteam, mittlerweile angewachsen auf vierzehn Polizisten. Wir blicken halb skeptisch, halb erwartungsfroh in die Runde und in der Tat haben sie Erfolg gehabt. Stolz wie kleine Jungs nach einem siegreichen Fußballspiel erzählen sie uns, dass sie die Aufnahmen der Überwachungskamera am Eingang des Krankenhauses penibelst ausgewertet haben und jeden, wirklich jeden identifiziert und befragt hätten, der rein oder raus gegangen ist. Ein Berg an Arbeit, aber unter diesen Besuchern sei dann auch der Straftäter gewesen. Der wird uns auch sogleich präsentiert. Mit gesenktem Blick, offensichtlich bestrebt, vor Scham im Boden zu versinken, tritt ein kleiner Junge von vielleicht neun oder zehn Jahren vor. Er hat seinen Bruder im Krankenhaus besucht und auf dem Rückweg unsere faszinierenden Trikes gesehen. Da diese leider abgesperrt waren, hat er nach ebenso interessanten Gegenständen gesucht und etwas wahllos Dinge mitgenommen: eine Thermoskanne, feuchtes Toilettenpapier, das Rasierzeug von James und ein paar Sachen mehr. Mein Ärger über den Verlust weicht Mitleid und ich muss mich zusammenreißen, den Jungen wegen seiner Dummheit nicht zu packen und zu schütteln. Wir bekommen fast alles wieder, nur ein paar Kleinigkeiten wie den Selfiestick, mit denen er nichts anfangen konnte, hat er in den Fluss geworfen. Damit nicht genug: die Polizisten haben Ersatz besorgt und geben mir einen nagelneuen Selfiestick, zwar in gruseligem Hellblau, aber funktioniert und ich bin wirklich gerührt. Sie betonen nochmals, wie wichtig ihnen sei, dass wir Touristen sicher und zufrieden durch Tadschikistan reisen können. Zum Schluss bekommen wir vom Polizeichef eine riesiges Glas mit hausgemachtem Granatapfel-Trauben-Wein geschenkt. Einfach unglaublich! Nach herzlichem Händeschütteln, vielfachem Dankeschön verabschieden wir uns und verzichten natürlich auf eine offizielle Anzeige. Am nächsten Morgen kommen sie nochmal bei uns vorbei, mit der Bitte, einen kurzen Bericht über den Sachverhalt und die Arbeit der Polizei von Aini zu schreiben. Dieser Bitte kommen wir gerne nach.

Fahndungserfolg!

Am nächsten Tag brechen wir auf und folgen dem engen Tal weiter in leichtem Auf und Ab, wobei das Auf immer etwas überwiegt. Irgendwann biegt die Straße nach rechts ab und vor uns liegen einige hundert Höhenmeter steile, schlechte Straße, die weit oben zum berüchtigten fünf Kilometer langen Anzob-Tunnel führt, auch bekannt als das Tor zur Hölle. Ich habe mir schon länger Gedanken gemacht, wie wir da wohl heil durchkommen, nachdem ich Berichte von anderen Radreisenden gelesen hatte. Einhellige Meinung: fahrt da auf keinen Fall auf dem Fahrrad durch! Der Anzob ist bekannt für seine unzureichende Beleuchtung, für Lastwagen, die in irrem Tempo und ohne Rücksicht auf Fahrradfahrer hindurchdonnern und vor allem für die fehlende Belüftungsanlage. Die Gesichter der anderen Radreisenden waren schwarz wie die von Kohlekumpeln und auf den Gesichtern war eine Mischung aus Erleichterung, überlebt zu haben und Sorge, um wie viele Jahre die eigene Lebenserwartung gesunken ist. Wir beraten uns kurz zu viert und entscheiden, einen Lastwagen anzuhalten, der uns nach oben und durch den Tunnel fährt. Es dauert nicht lange und ein passendes Gefährt hält an. Mit vereinten Kräften heben wir die Fahrräder und die Trikes auf die Ladefläche, Anouck und Daria steigen in die Kabine, James und ich auf die Ladefläche. Ruckelnd setzt sich der Laster in Bewegung und wir versuchen etwas mühevoll unser Gleichgewicht zu halten und dafür zu sorgen, dass die Trikes nicht durch die Gegend wandern oder umfallen. Es geht Serpentine um Serpentine nach oben, ich kann nur kurze Blicke auf die Berge erhaschen, die sich hinter den hohen Seitenwänden verbergen. Irgendwann plötzlich wird es dunkel und laut. Das Dröhnen des Lastwagenmotors hallt von den Wänden wider, die Ladefläche wird immer wieder von der Decke aus kurz beleuchtet und wird dann wieder vom Dunkel verschluckt. In der Luft liegt beißender Gestank, die Blechwände und der Boden erzittern von Schlaglöchern und die Beleuchtung wird abermals schwächer. Es ist wirklich, als seien wir durch die Pforten des Hades getreten. Das Erlebnis ist beeindruckend, doch ich bin froh, jetzt nicht ungeschützt dem Verkehr auf Höhe der Lastwagen-Auspuffe ausgesetzt zu sein. Nach einer gefühlten Ewigkeit wird es heller und wir fahren in das gleißende Licht auf der anderen Seite des Tunnels.

Trikes auf dem Kohlelaster


Tor zur Hölle

Die Hölle hat uns wieder freigegeben

Die Trikes und die Fahrräder sind schnell abgeladen und ein Grinsen macht sich auf unseren Gesichtern breit, als wir losrollen zu einer Abfahrt von 70 Kilometern durch großartige hochalpine Landschaft. Der kalte Wind bläst uns ins Gesicht, die Fahrt wird schneller und schneller und ein Berg sieht Ehrfurcht gebietender aus als der andere. Die Straße ist nahezu perfekt und so kann der Blick mal zum Fluss unter uns, mal in die enge Schlucht vor uns und mal zu den Eisriesen in den Seitentälern neben uns wandern. Wir brausen durch dunkle Tunnel, lassen die Räder in den Geraden laufen und lehnen uns in den Kurven weit nach innen, um möglichst wenig des berauschenden Tempos hergeben zu müssen. Ein paar Kilometer vor Dushanbe fahren wir in eine Schotterstraße rechts hinein und finden einen passablen Zeltplatz. Der nächste Morgen ist mein Geburtstag und die anderen drei haben ein königliches Frühstück vorbereitet. Es gibt Rührei mit Zwiebeln, frisches Gemüse, Tomatensaft und Käse. Zur Feier des Tages fahren wir ein wenig die Straße weiter bis zu einer kleinen Ferienanlage, wo es einen Pool mit Rutsche gibt und wir ein paar schöne, faule Stunden mit Sonne und eiskaltem Wasser verbringen.

Hinab durch die Bergpracht …


… durch dunkle Tunnel …

… und mit schönen Seitentälern.


Geburtstagsfrühstück

Ab ins Freibad!

Am späteren Nachmittag erreichen wir Dushanbe, die Hauptstadt Tadschikistan und den letzten zivilisierten Ort vor dem Pamirhighway. Hier wollen wir drei Tage mit Einkaufen, Friseur und Reparaturen verbringen, wir bei einer Airbnb Unterkunft, James und Anouck bei einer privaten Bleibe. Die Stadt ist erstaunlich modern und gut gepflegt und hat zwei richtig gute Adressen für Fernreisende: das Greenhouse Hostel und einen Fahrradladen mit einem genialen Mechaniker. Von diesem lasse ich mir das Hinterrad neu zentrieren, er fertigt mir mit Geschick Ersatzspeichen in der richtigen Länge an und da mir die Kappe für das Umwerferrohr fehlt, verschließt er sie kurzerhand mit einer Uhr. Klasse Idee! Im Greenhouse Hostel treffen sich die Tramper, Vagabunden und Entdecker dieser Welt. Eduardo aus Argentinien ist seit zwei Jahren unterwegs, ein paar Deutsche kommen gerade mit einem alten Auto der Tadschikistan-Rallye an und es herrscht eine entspannte, abgeklärte Atmosphäre. Das Hostel bietet einen genialen Dienst: alle Fahrradausrüstung, die es in Moskau zu kaufen gibt, liefern sie innerhalb von 3-4 Tagen nach Dushanbe. Da ich nicht sicher bin, dass die Ersatzteile, die ich aus Deutschland bestellt habe, auch wirklich den weiten Weg bis Tadschikistan schaffen werden, entscheide ich mich für eine zweite Lieferung aus Moskau. Ich telefoniere hin und her, bis ich die richtigen Steckritzel für die Rohloffschaltung und die passende Kette gefunden habe. Die Recherche erfolgt online, die Zahlung über´s Internet, die Kommunikation über Skype und Whatsapp und nach etwa zwei Stunden Aktion sind die Dinge auf dem Weg, inklusive der Weiterleitung per Shared Taxi in Richtung Khorog, das wir in zwei Wochen erreichen wollen. Verrückte Welt! Am Abend meldet sich James bei mir und verkündet etwas kurz angebunden, dass sie den Pamirhighway lieber zu zweit als zu viert fahren wollen, weil es romantischer sei. Wir verabreden uns für den nächsten Tag, um nochmals eine gemeinsame Abschiedsfahrt zu unternehmen. Ich habe Verständnis dafür, sehe auch die Vorteile einer Fahrt zu zweit, bin aber dennoch ein wenig traurig über das abrupte Ende der Reise zu viert.

Beim Bikeshop Dushanbe


Hausgemachte Ersatzspeichen

Wieviel Uhr ist es? Wart mal kurz…

Wir fahren am frühen Nachmittag aus Dushanbe heraus und ich beginne Respekt vor den zukünftigen Herausforderungen zu spüren. Die Berge des Pamir sollen wilder, das Leben der Menschen karger als an den meisten Orten weltweit sein. Auch die Aussicht, dass es bald viele Kilometer an der Grenze zu Afghanistan entlang geht, ist eine alles andere als alltägliche Vorstellung. Zunächst jedoch fahren wir auf sonniger Straße und glattem Asphalt in den Abend hinein, durch die Vororte Dushanbes, hinaus auf die Landstraße, vorbei an Apfelplantagen und abgeernteten Feldern, bis wir am Abend eine sehr schöne Einladung in ein Haus am Straßenrand bekommen. Wir sitzen unter dem Weinlaub auf der Terrasse, essen Suppe und Brot und ich lasse noch ein paar ruhige Lieder in die laue Nacht erklingen, als die ersten Sterne am Himmel stehen und die Grillen im Gras zirpen.

Nochmal ein gemeinsames Frühstück

Die nächsten Tage fahren wir durch ein weites Tal, gesäumt von kargen braunen Hängen, immer weiter hinein in die Berge. Meist, aber nicht immer haben wir noch gute Straße. An einem Abend suchen wir nach einem Zeltplatz, was sich als immer schwieriger gestaltet, weil es fast keine flachen Stellen mehr gibt. Es ist dunkel, die Karte der Navigationsapp zeigt flache Plätze, doch habe ich den Eindruck, dass die Karte lügt. Überall geht es rauf oder runter und jetzt hört auch noch der Asphalt auf. Dröhnende Lastwagen kommen aus dem Dunkel gefahren, in dichten Staub wie in Londoner Nebel gehüllt, sodass man die Straße kaum erkennen kann. Weiterfahren ist keine Option und so halten wir ein Auto an, um nach einem Platz für unser Zelt zu fragen. Ein Mann verweist uns auf ein Stückchen flache Erde direkt an der Straße, was uns nicht wirklich zusagt. Die Suche geht also im Licht seiner Taschenlampe weiter und hinter einem hohen Zaun ist ein einfaches Haus im Dunkel zu erkennen. Der Mann geht kurzerhand durch das Tor, Daria folgt ihm und sie fragen dort nach einem Zeltplatz für uns. Ideal ist es nicht, aber es ginge zur Not. Die Frau, die uns die Türe geöffnet hat, schlägt dann aber vor, bei ihnen im Haus zu übernachten. Gastfreundschaft auf Reisen ist immer schön, doch jetzt, da wir aus dunkelster Nacht, von staubiger Straße ohne Obdach kommen, sind wir noch um ein Vielfaches dankbarer. Wir ratschen noch ein wenig mit der Frau, die hier mit ihren acht Kindern lebt, während der Ehemann als Fahrer eines Taxis nach Dushanbe die dünne Haushaltskasse aufbessert. Morgens scheint die Sonne wieder und es gibt Frühstück mit himmlisch duftendem hausgemachtem Brot. Hier auf der Terrasse sehen wir, wie idyllisch die Familie lebt. Auf dem großen Grundstück wachsen Obst- und Nussbäume, hinter dem Haus ist ein Feld, auf dem Kartoffeln angebaut werden und der Blick geht vom Haus über die Wiesen weit bis ins Tal. Stolz präsentiert mir der vielleicht acht oder zehn Jahre alte Sohn seine Reitkünste auf dem Esel und fordert anschließend mich auf, es ihm nachzutun. Ich lasse mich nicht lumpen, erschrecke dann aber doch, als er dem Esel einen Schlag aufs Hinterteil verpasst und der einen Satz nach vorne macht. Ausgeruht machen wir uns auf den Weg und auch die üble Schotterstraße ist im Morgenlicht halb so wild.

Am Abend


Es gibt Rührei zum Frühstück!

Immer weiter durch die Berge


Den lass ich besser vorbei.

Nachts eine Rettung, tags ein Idyll


Hüh hott!

Vorgeschmack auf zukünftige Schotterpisten …


… inkl. Staub.

Im weiten Tal unterwegs

An einem späten Nachmittag schließlich zweigen wir von der Hauptstraße ab und folgen der legendären M41, dem Pamirhighway oder Pamirski Trakt, wie er auf russisch genannt wird. Mit dem Bau dieser Straße wurde bereits 1929 begonnen, sie verbindet in kühnem Bogen die Stadt Osh in Kirgisien mit der tadschikischen Hauptstadt Dushanbe, führt durch enge Täler, entlegenste Siedlungen, weite Hochlandwüste und über einige der höchsten befahrbaren Pässe der Welt. Die Sonne steht schon tief, als wir die gut ausgebaute Straße verlassen und der Schotter beginnt. Gegen den Horizont zeichnen sich im warmen Abendlicht die Silhouetten der sanfteren westlichen Höhenzüge ab und wir fahren zwischen turmhohen Bergen in ein düsteres Tal vor uns, wie durch das Tor einer alten Burg in die beginnende Nacht. Tief unter uns fließt der Fluss im steinigen Bett, das verlöschende Licht taucht die Landschaft in ein unheimliches Rot unter dem dunkler werdenden Himmel. Die Straße ist von dickem Staub bedeckt, durchquert in den Serpentinen Wasserläufe und wird zunehmend beschwerlich. Als das Dunkel der Nacht vollkommen ist, kommen wir in ein Dorf auf der Suche nach einem Zeltplatz, aber es will und will keine ebene Fläche kommen. Wir sind müde und abgekämpft, alles um uns wirkt schroff, wild und abweisend. Ein Mann sagt, dass es hier eine Übernachtungsmöglichkeit gebe und wir folgen ihm ein paar anstrengende Höhenmeter bis zu einem einfachen, traditionellen Haus. Wir bekommen ein Zimmer, nur mit einem alten Teppich ausgelegt ist und breiten unsere Schlafsäcke aus, dankbar, dieses Quartier gefunden zu haben. Unser Gastgeber führt uns zum Bad, einem kleinen Häuschen neben dem Wohnhaus, in dem wir zwei Zinkeimer mit heißem und kaltem Wasser vorfinden. Mit einer Schöpfkelle nehme ich die richtige Mischung heraus, freue mich über den warmen Schwall, der mir über den staubigen Körper rinnt und darüber, mal wieder richtig sauber ins Bett gehen zu können.

Weg von der Hauptstraße…


… into the wild!

Müde erreichen wir das Nachtquartier


Einfach, aber ein Dach über dem Kopf!

Die Mühen der Straße bleiben…


… aber morgens lacht sie Sonne!

Der nächste Morgen empfängt uns mit wundervollem Licht und vertreibt die Düsternis der Nacht. Die Straße bleibt beschwerlich und rauh, doch die Bergpracht lässt uns die Mühsal des Fahrens schnell vergessen. Wir halten zu einer kurzen Pause und ich bemerke, dass Darias Gepäckträger an den gleichen Stellen gebrochen ist wie meiner vor einer gefühlten Ewigkeit in Armenien. Hier steht uns jedoch kein talentierter, erfahrener Handwerker mit der nötigen Ausrüstung zum Schweißen von Aluminiumrohren zur Verfügung. Also ist mal wieder Improvisationskunst gefragt. Mit zwei festen Hölzern, Kabelbindern und Tape stabilisiere ich das Rohr, es wirkt bombenfest und wir laden das Gepäck wieder auf. Die weitere Strecke wird immer einsamer, in den wenigen Orten gibt es erst nur noch kleine Läden mit spärlichem Sortiment an trockenen, konservierten und lang haltbaren Lebensmitteln und auch diese Läden verschwinden irgendwann ganz. Doch in den Dörfern gibt es Menschen die Hühner halten und uns ein paar Eier geben, die Brot in traditionellen Holzöfen backen und uns verkaufen oder uns sogar ein ganzes Frühstück mit Spiegeleiern, Butter, Brot und Tee servieren.

Schlechte Straße ist ernst gemeint


Improvisation und Provisorium

Fotosession mit den Kids 1


Fotosession mit den Kids 2

Frühstücksplatz im Dorf


Brot backen

Zwiebeln schälen

Bei einer Mittagspause gesellt sich ein kleiner Junge zu uns, der gar nichts spricht, uns aber mit großen dunklen Augen neugierig und freundlich anschaut. Wir teilen unsere Brotzeit mit ihm und er freut sich offensichtlich sehr über das unverhoffte Essen. Jedes Stück Brot, jede Scheibe Käse, Wurst, jedes bisschen Gurke oder Paprika reißt er an sich, als wolle er sichergehen, dass wir es ihm nicht wieder wegnehmen. Er isst mit einem Appetit, als habe er schon lange nichts mehr bekommen und selbst die kleinen Brotkrümel auf seinem Pulli sammelt er gewissenhaft auf, um auch ja keinen zu verlieren. Wir sind hier in der bisher ärmsten Region unserer Reise angelangt, wo nach und nach der Komfort, die natürlichen Ressourcen und schließlich sogar die Nahrung weniger wird.Trotz des kargen Lebens gibt es aber auch hier noch wunderschöne Gastfreundschaft. Wir werden zur Übernachtung eingeladen und mit den wenigen Dingen verköstigt, die das karge Leben hier bietet. Die anderen Nächte verbringen wir an wildromantischen Orten, direkt am Fluss oder auf den wenigen flachen Stellen, die wie ein Adlerhorst über dem Tal thronen.

Entspannt nach dem Essen


Gastfreundschaft gibt es auch hier oben noch

Beim Almabtrieb


Finde das schwarze Schaaf!

Der kleine Nimmersatt


Nächtliche Einsamkeit


Vom Adlerhorst ins Tal

Die gesamte Fahrt geht es nun immer steiler nach oben, heraus aus den engen Tälern und der Blick öffnet sich in große Weiten über endlose Ketten von Bergen, weiter und weiter bis an den fernen Horizont. Die Luft wird dünner, wir kämpfen uns Kurve um Kurve hinauf, im Sonnenuntergang schließlich erreichen wir den 3252 Meter hohen Khaburabot, den ersten hohen Pass des Pamirhighways. Die Aussicht ist grandios, doch sobald die Sonne weg ist, wird es richtig kalt. Wir bauen in Windeseile das Zelt auf, kochen ein warmes Abendessen und verschwinden alsbald mit einigen warmen Klamotten am Leib in den Schlafsäcken. Die Nacht ist kalt, die Sternenpracht überwältigend, doch bin ich froh, als am nächsten Morgen die Sonne auf das Zelt scheint. Der Blick auf die eingefrorene Wasserflasche zeigt, dass die Kälte der Nacht nicht nur Einbildung war.

Push me, baby!


Auch für Euch ist es schwer bergauf!


Der Blick weitet sich

Gleich sind wir oben


Nachtlager auf der Passhöhe (3252 Meter)

Nachtfrost


Die Passhöhe mit Relikten des Bürgerkriegs

Wir frühstücken mit heißem Tee, packen zusammen und machen uns auf den Weg. Dieser führt durch atemberaubend schöne, rauhe Bergwelt gute 2000 Höhenmeter nach unten. Einmal begegnet uns ein anderer Radreisender, der sich von dieser Seite nach oben quält, doch ansonsten bleiben wir allein. Langsam wird die Vegetation wieder mehr, das Tal wieder enger und das Wasser im Fluss verspielter. Wir kommen an einem Militärposten vorbei, fahren durch ein paar kleine Dörfer und irgendwann nähern wir uns der kleinen Stadt Khalai Kumb, die zwischen jäh aufragenden Bergen im Talgrund des Panj liegt. Der Wind wirbelt Staub in die Luft, die späte Sonne schickt ein unwirkliches Licht in das Tal und wir bleiben stehen, den Blick auf die andere Seite des Flusses gerichtet. Dort liegt, wenige hundert Meter entfernt, mysteriös und unerreichbar, das wilde Afghanistan.

Es geht bergab!


Serpentine für Serpentine …

…durch herrliche Bergwelt.


Wilde Straße

Welt aus Stein


Das Tal wird eng

Blick nach Afghanistan