Wir waschen vor der Tür Hände und Gesicht, ziehen die Schuhe aus und treten ins Haus. Haji Mohammad spricht passables Englisch und sagt, er habe uns schon in der letzten Stadt beim Essen gesehen und gebetet, dass er uns aufnehmen dürfe und das sei jetzt in Erfüllung gegangen. Es gibt Melone und wir sprechen über Gott und die Welt. Wie stark der Glaube hier das Leben beeinflusst, ist in jedem Augenblick zu spüren. Das Leben ist auf Gott ausgerichtet, die Menschen fügen sich den überlieferten und geschriebenen Regeln und es herrscht eine innere wie äußere Ordnung des Lebens. Jede Handlung, jeder Mensch, die Tages- und Jahreszeiten haben ihren festgelegten Platz und alles wird von Generation zu Generation übertragen. Für mich als säkularen, westlichen Menschen der Aufklärung und der kritischen Vernunft ist dies schön und unverständlich zugleich. Einerseits bewundere – und beneide – ich den Frieden, der hier zu herrschen scheint. Andererseits weiß ich, dass es diese Welt bei uns nie wieder geben kann, sofern es sie jemals gab. Es ist wie die Vertreibung aus dem Paradies: der Gewinn der Freiheit ist der Verlust der Sicherheit. Ich würde nicht tauschen wollen und können und bin so in der Rolle eines Zaungastes, der in einen fremden, blühenden Garten schaut und weiß, dass das Tor seit vielen Jahren eingerostet ist und niemand hinein oder heraus kommt.
Etwas später am Abend kommt Haji Mohammads Bruder Hamza hinzu. Er ist ein sehr gebildeter, feiner Mensch und die Kommunikation funktioniert mit ihm als Englischlehrer hervorragend. Er sieht genau so aus, wie man sich einen frommen Muslim vorstellt: er trägt eine weiße Gebetsmütze, hat einen längeren Bart und ein ebensolches Obergewand. Das Gespräch dreht sich auf durchaus hohem philosophischem Niveau um Religion, wobei sein offensichtliches Anliegen ist, uns von der Richtigkeit und den Vorzügen des Islam zu überzeugen. Teils sind es angebliches biologisches Wissen, das im Koran enthalten sei, aber zur Zeit des Propheten Mohammed noch gar nicht vorhanden war, teils sind es Brücken zur christlichen und jüdischen Religion, die beide Wurzeln des Islam seien. Ich genieße eine Zeitlang den Austausch, doch merke ich nach einer Weile, dass mir das geistige Korsett, das sich Hamza angelegt hat, zu eng wird. Jetzt ist es weniger das Gefühl, zu seiner Welt keinen Zugang zu haben, als Unverständnis, wie man sich bewusst und vollständig auf den Koran als einzige geistige Quelle beschränken kann. Der Freude über die Gastfreundschaft tut all dies keinerlei Abbruch. Schön für uns als Reisende ist die große Wärme, mit der wir hier wieder aufgenommen werden, die Ruhe nach dem Trubel der Straße, und auch einfach die Wohltat, duschen zu können. Am nächsten Morgen fährt Haji Mohammad wieder voraus durch die Dorfstraßen und wir statten Hamza noch einen kurzen Besuch in seiner Schule ab. Für die Schüler sind wir eine willkommene Abwechslung und sie können mal mit echten Ausländern ein paar Worte auf Englisch wechseln.
Wir kommen in eine stille Landschaft mit weiten Ebenen, großem Himmel und fernen Bergen. Abgeerntete goldene Felder erstrecken sich bis in die blaue Ferne, zu dieser Jahreszeit längst trockene Flüsse haben tiefe Täler in die Fläche geschnitten und wir fahren frei hindurch. Autos gibt es nur noch vereinzelt und der Abstand zwischen den winzigen Dörfern wird größer und größer. Schließlich geht es bergab in ein weites Tal, das von ockerfarbenen Hügeln gesäumt ist. Die Landwirtschaft wirkt archaisch, die Ortschaften im sanften Sonnenlicht wie aus einer anderen Zeit und es scheint, als sei diese kleine Welt zwischen dem Golestan Nationalpark und der turkmenischen Grenze von den Zeitläuften vergessen worden. Wir folgen dem Tal immer weiter hinein und nähern uns Bergen, die nach oben hin immer grüner werden.
Im letzten Abendlicht erreichen wir eine kleine Ortschaft auf der Suche nach einem Zeltplatz. Ein netter junger Mann bietet uns seine Hilfe an und sagt, wir könnten in einem Gästehaus unterkommen, das zur örtlichen Moschee gehört. Leider klappt das nicht, denn das Haus ist Koranschüler vorbehalten, doch ein weiterer junger Mann kommt herbei und lädt uns zu sich nach Hause ein. Es sind nur ein paar hundert Meter bis wir dort ankommen. Passend zur Ruhe der letzten Tage ist diese Familie wunderbar zurückhaltend. Wir essen gemeinsam zu Abend, der Sohn („Call me Ben, that´s easier“) spricht ganz gut Englisch und im Anschluss an das Essen klage ich über Rückenschmerzen, die durch das Sitzen am Boden stärker geworden sind. Ben sagt, er sei ein guter Masseur und er könne mir durchaus helfen. Ich zögere kurz, willige dann aber ein. Und in der Tat, er weiß was er tut. Mit viel Kraft und Gespür für die schmerzenden Stellen knetet er mich durch, langsam lockern sich die Muskeln und etwas entspannter kann ich mich schlafen legen. In der Früh kommen wir über unsere Reise ins Ratschen. Ben mag den Iran nicht sehr, vor allem wegen dem immer und überall präsenten Durcheinander und Lärm. Er träumt davon, ebenfalls eine solche Fahrradreise zu unternehmen und fragt uns zu Kosten, Ausrüstung und Route aus. Wir heißen ihn in Deutschland oder Polen willkommen und freuen uns über die Gemeinsamkeit, die trotz unserer komplett verschiedener Leben besteht.
Wir brechen auf und fahren ein paar steile Höhenmeter hinauf bis auf den Hauptkamm der grünen Berge. Das Grün endet nahezu abrupt mit den ersten Metern bergab. Ehrfurcht packt uns als sich der Blick öffnet auf die hell flirrende Weite vor uns: die Wüste Irans liegt vor uns! Der Wind rüttelt ungestüm an den Dächern der Trikes als wir wild hinabfahren, rechts und links noch karge Ausläufer der Berge und vor uns eine Landschaft, von der wir noch nicht wissen, welche Abenteuer sie für uns bereithalten wird. Vor einer verlassenen Polizeistation machen wir halt zum Essen und fahren im warmen rötlichen Abendlicht weiter bis wir einen Zeltplatz mit wundervoller Aussicht auf die mondbeschienene karge Ebene finden. Der nächste Tag führt uns weiter durch grandios leere Landschaft, in der die Staubteufel tanzen und dann und wann wieder trockene Felder auftauchen. Verloren einsam im Nichts stehen einfachste Häuser, von Bauern bewohnt, die dem wenigen was hier wachsen kann, noch ein Leben für sich selbst und ihre Familien abtrotzen können. Wir halten an einem dieser Häuser an und werden zum Tee eingeladen. Das Leben der Menschen findet in zwei Räumen, der Küche und dem Wohnzimmer statt, die dicken Mauern des Hauses trotzen der sommerlichen Hitze und wir sitzen gerne zur Mittagspause in der angenehmen Kühle. Es ist interessant, dass wir ohne gemeinsame Sprachbasis doch ein wenig Kommunikation schaffen, dank ein paar Wörtern Farsi und der Karte, auf der wir unsere Route zeigen können.
Familienleben in der großen Weite
Nach zwanzig weiteren Kilometern erreichen wir Ashkaneh, die erste größere Stadt nach etlichen Tagen Einöde. Ein Mann lädt uns zum Essen ein, in ein Haus direkt neben einer sunnitischen Moschee, was im schiitischen Iran eher eine Ausnahme ist. Mit uns im Raum sind weitere, allesamt bärtige Männer. Die Frauen des Hauses treten so gut wie nicht in Erscheinung, außer beim Servieren des Essens. Mit Hilfe des Übersetzers am Handy können wir ein leidliches Gespräch führen. Sie haben eine Menge Geld in die Moschee investiert, das meiste ist durch private Spenden zusammengekommen. Jedoch hat es nicht gereicht und sie erhoffen sich von uns Unterstützung, wenn nicht durch eigenes Geld, dann vielleicht durch einen Kontakt nach Deutschland. So völlig selbstlos ist ist die Gastfreundschaft in diesem Fall also nicht, jedoch ist das Auftreten angenehm und wir haben nicht das Gefühl, dass wir lediglich ausgenommen werden sollen. Das Interesse insbesondere an Deutschland ist groß und sie äußern den Wunsch, nach Deutschland zu kommen. Ich habe oft den Eindruck, dass unsere Heimat im Ausland als das gelobte Land gesehen wird, in dem alles funktioniert und jeder glücklich ist. Der älteste der Männer ist vielleicht sechzig Jahre alt, uneingeschränkte Respektsperson im Raum und hat mit vier Frauen zehn Kinder. Ich weise einfach darauf hin, dass dieser Familienstand in Deutschland nicht möglich wäre und versuche, mir wenigstens im Ansatz die möglichen Konflikte vorzustellen, die beim Aufeinandertreffen dieser Welt mit unserer entstehen könnten. Was wäre, wenn er sich mit seinen vier Frauen auf den Christopher Street Day verirrte? Wenn eine seiner Frauen von einer Freundin erfährt, dass man in Deutschland auch wunderbar alleine oder mit Freundinnen in den Urlaub fahren kann? Wenn eine frech-forsche Lehrerin für Ethik / Biologie / Sozialkunde den Kindern etwas ganz anderes als die Koranschule beibringt? Wenn eine seiner Töchter geschminkt das Haus verlässt und sagt, sie habe jetzt einen Freund? Das Gespräch und das Essen mit den ruhigen, tief religiösen Männern ist angenehm, doch sind in diese Welt anscheinend noch nicht viel Widerspruch und noch nicht viele alternative Lebensentwürfe eingedrungen.
Bevor es weitgehend eben auf Maschhad zugeht, wartet noch ein unangenehmer Pass auf uns, den wir in hässlichem Gegenwind fahren müssen. Auf der anderen Seite fahren wir durch den Sand, der im Wind über die Straße tanzt, in die Stadt Bojnurd. Wir sind abgekämpft und müde, obwohl wir an dem Tag noch nicht allzu viele Kilometer gemacht haben, aber der Gegenwind kostet einfach Kraft und Nerven. Im Abendlicht spricht uns ein Mann an, ob wir bei ihm übernachten wollen. Angesichts der wenigen Kilometer an dem Tag zögern wir erstmal, willigen dann aber ein mit der Überlegung, dass die Strecke des heutigen Abends morgen ausgeruht sicher besser und schneller zu machen ist. Diese Entscheidung soll sich lohnen! Hamze ist Instrumentenbauer und wie sein Bruder Hamid Vollblutmusiker. Wir werden im Haus von seiner Frau und ihm mit offenen Armen empfangen, es gibt groß zu essen und der Abend dann gehört der Musik. Die Brüder bringen Instrumente namens Tar und Dotar mit, Hamid hat sich extra wegen unseres Besuchs einen Abendanzug angezogen.
Die Dotar ist eine Langhalslaute mit einem ovalen, aus Holz geschnitzten Korpus und wird mit zwei in einer Quart gestimmten Saiten bespannt. Auf einer der beiden Saiten wird die Melodie gespielt, die andere wird wie ein Bordun meist freischwingend genutzt. Hamze und Hamid spielen beide virtuos auf dem Instrument und die Begleitung wirkt wie ein Kommentar, eine Färbung, ein Ornament der gesungenen Melodie. Die verwendete Skala der Lieder ist meist phrygisch, was mit dem Klang der Instrumente und den fremden Worten uns in alte Zeiten und ferne Welten versetzt. Die Tar ist mit der indischen Sitar verwandt, hat ähnlich dem Banjo über dem Korpus ein Trommelfell gespannt und neben den Spielsaiten mehrere Resonanzsaiten, die mitschwingen und unter der direkten Meldodie einen Klangteppich erzeugen. Das wirklich spannendste aber sind die Vierteltöne der Tar, mit denen sich noch eine ganz andere Vielfalt an Ausdruck erzeugen lässt. Er tut sich eine musikalisch eine völlig neue Welt auf.
Am nächsten Morgen gibt es auf der Terrasse wundervolles Frühstück. Während wir seelig schliefen, haben Vater, Mutter und Tochter Nüsse geknackt, Karotten gerieben und dann gemeinsam einen himmlischen Kuchen gezaubert, den sie uns jetzt servieren. Hamze nimmt mich anschließend auf dem Motorrad in seine Werkstatt mit. Hier blüht er erst richtig auf, führt mir seine archaische Drehbank vor, indem er kurzerhand einen Drumstick anfertigt. Es kommen ein Musikschüler und eine Schülerin im Instrumentenbau vorbei, sie geben wieder ein paar Lieder zum Besten und es ist eine schiere Freude, jemanden zu sehen, der in jedem Augenblick das zu tun scheint, was er wirklich liebt. Hamze ist anscheinend von der politisch-wirtschaftlichen Situation seines Landes komplett unbeeindruckt. Sein freier Geist schwebt aus den engen Niederungen des täglichen Lebens hinaus und er macht dann Kochlöffel und Musikinstrumente, gibt Unterricht und Konzerte, erkundet mit seiner Frau die Natur der Gegend oder geht fischen. Ich habe selten jemanden mit einer solch ungezwungenen Lebensfreude und einem solch feinen Sinn für das Wesentliche erlebt. Natürlich kommen wir nicht so früh weg, aber die Einschätzung, dass es ausgeruht besser gehen wird, bestätigt sich mal wieder deutlich. Die Kraft ist wieder da, der Wind hat gedreht und wir sausen pfeilschnell dahin. Ein paar Kilometer hinter der Stadt meldet sich Hamze nochmal. Seine Frau vermisse uns schon und möchte uns nochmal sehen. Sie kämen uns jetzt hinterher. Und siehe da, ein halbe Stunde später hält sein Motorrad neben uns, sie verabschieden sich nochmal und drücken uns einen Abschiedsbrief in die Hand. Es wird uns warm ums Herz.
Wir folgen der großen Straße weiter, immer weiter Richtung Osten durch weite Wüstenlandschaft, gesäumt von sanften Bergen. Eines Abends fahren wir einige Meter weg von der Straße durch abgeerntete Felder und finden einen schönen, erstaunlich ruhigen Schlafplatz. Nach kurzer Zeit kommt ein Hirte mit seinen Schafen vorbei und sagt, weiter drüben in einer Senke sei es viel besser. Kurz darauf stattet uns die blaue, sprich die Verkehrspolizei einen Besuch ab, natürlich nicht ohne Warnung, dass es hier gefährlich sei. Nach etwas Überzeugungsarbeit helfen sie uns dann aber sogar beim Zelt aufbauen und leuchten uns mit der Taschenlampe. Daria fragt frech, ob sie filmen dürfe und auch das lassen sie zu und sorgen dafür, dass sie für die Aufnahme ordentlich beleuchtet werden. Schließlich holen sie eine große Thermoskanne aus dem Auto und bieten uns Tee an. Wir lehnen erstmal höflich ab, doch sie betonen: „It´s police tea!“ Den können wir dann doch nicht ausschlagen. Sie fahren irgendwann wieder, es ist dunkel geworden, das ewige monotone Rauschen der entfernten Straße tönt noch zu uns herüber und es spricht jetzt eigentlich nichts mehr dagegen, ins Bett zu gehen. Doch, es spricht etwas dagegen. Die grüne Polizei kommt vorbei und spricht dagegen und das fast eine Stunde lang. Gut gemeint und um unsere Sicherheit besorgt, wollen sie, dass wir zusammenpacken, einen guten Kilometer weiterfahren und dort unser Zelt bei einem großen Rastplatz aufbauen, der beleuchtet und überwacht ist. Ich hole die letzten Geduldsreserven aus den Tiefen meines Gemüts und argumentiere so lange bis ich sie, wenn schon nicht überzeuge, doch dazu bringe, die Entscheidung bei uns zu lassen. Eigentlich sind sie ja rührend: sie seien verantwortlich für die Touristen und wollen einfach sichergehen, dass uns nichts passiert. Schließlich geben sie nach und sagen, dass wir bei verdächtigen Motorrädern und sonstigen zwielichtigen Gestalten immer anrufen könnten und sie nachts nochmal bei uns verbeifahren würden, um nach dem Rechten zu sehen. Uff, geschafft, ab ins Bett. In der Tat kommen sie um zwei Uhr morgens bei uns vorbei gefahren, wir wachen kurz auf als der helle Schein von Autoscheinwerfern das Zelt trifft, schlafen jedoch gleich weiter und wie durch ein Wunder passiert uns gar nichts.
Langsam nähern wir uns Maschhad, dem wirtschaftlichen und religiösen Zentrum im Osten Irans. Tagsüber hat uns eine junge Frau namens Fahime angesprochen, ob wir bei ihr übernachten wollen. Ich willige spontan ein und so haben wir ein klares Ziel vor Augen als wir uns durch den abermals gesteigerten Verkehr wühlen. In der Abenddämmerung erreichen wir ihr Haus inmitten einer großen Neubausiedlung. Sie hat sich schick herausgeputzt und sitzt schon ein wenig auf Kohlen, weil sie auf dem Sprung zu einer Party ist. Im Schnelldurchlauf erklärt sie uns, wo wir in ihrer Wohnung etwas finden, drückt uns den Schlüssel in die Hand und rauscht hinaus. Wir reiben uns verwundert die Augen, schmunzeln ein wenig, doch schön ist dieses Vertrauen allemal. Wir schlafen früh und gut.
Lustiges FrühstückMorgens macht uns Fahime Frühstück und ihr Freund kommt nach ein paar Minuten ebenfalls etwas verschlafen aus dem Schlafzimmer. Wir erzählen, dass wir den Imam-Reza-Schrein besuchen wollen, das wichtigste schiitische Heiligtum auf iranischem Boden. Imame gelten im schiitischen Glauben – ähnlich den Heiligen in der katholischen Kirche – als rein und ohne Makel und sie dienen den Gläubigen als leuchtendes Vorbild. Bis auf den Imam-Reza-Schrein liegen alle Grabmäler der Imame in anderen Ländern, vor allem im Irak. Für den Iran hat dieser Ort eine große Bedeutung und dementsprechend werden auch die Kleidervorschriften ausgelegt, die für den Besuch gelten. Frauen müssen neben dem ohnehin obligatorischen Kopftuch einen Tschador tragen, sprich einen bodenlangen Umhang, der die Konturen des weiblichen Körpers vollständig verhüllt. Darias Begeisterung hält sich in Grenzen, doch Fahime hilft uns auf lustige Weise. Sie hat einen Tschador zu Hause und erläutert kurz, wie er zu tragen sei. Die praktische Vorführung jedoch, wie man das große Stück Stoff anlegt und wie man sich darin bewegt, kommt von ihrem Freund. Es ist wirklich zum Schreien. Nach dem Frühstück geht es in die Stadt.
Maschhad! Wie oft habe ich die Landkarte, das Satellitenbild angeschaut mit dieser ockerfarbenen Wüste und dieser unbekannten großen Stadt im fernen Osten Irans. Und jetzt sind wir hier, erleben das, was bislang Vorstellung war, in echt und die geistigen Bilder lösen sich in der Realität auf wie Träume nach dem Erwachen. Wir fahren mit dem Taxi ins Zentrum und ich bin über drei Dinge echt überrascht: die Stadt ist grün, wohlhabend und modern. Ich hatte eine staubige Wüstenstadt mit größtenteils verschleierten Frauen erwartet. Doch stattdessen säumen grüne Bäume die Straßen und obwohl der Tschador, der schwarze Körperschleier, hier häufiger getragen wird, sieht man doch viele Frauen, welche die Kleidervorschriften betont weit auslegen. Das Taxi bringt uns recht nah an den Gebäudekomplex des Imam Reza Schreins, wir geben unsere Taschen ab, Daria verhüllt sich vorschriftsgemäß und wir gehen hinein. Weitläufige Innenhöfe sind gesäumt von prachtvoll geschmückten Wänden, die Fassaden sind mit tausenden und abertausenden Mosaiksteinen geschmückt und die goldenen Kuppeln der zentralen Moschee strahlen im Licht der Sonne. Die Höfe sind mit Teppichen ausgelegt, auf denen Männer und Frauen ins Gebet vertieft sind, rund um das Grabmal drängen sich sie Menschen, um einen Blick oder gar eine Berührung zu erhaschen. Von uns nimmt in diesem dichten, aber friedlichen Gedränge kein Mensch Notiz und so können wir in Ruhe spazieren, auf den sonnenwarmen Steinen sitzen und die Atmosphäre in uns aufnehmen. Die einzige Ausnahme sind Aufpasser, die in der Moschee versuchen, uns wie tausende anderer auch, am Fotografieren und Filmen zu hindern. Dazu haben sie an einer langen Stange eine Art bunten Staubwedel, mit dem sie jedem, der an falscher Stelle das Handy zückt, sanft aber deutlich eins auf die Finger geben. Wir verbringen einige Stunden dort, bis uns ein Taxi wieder zurück durch die sonnenwarmen Straßen zu unserer Unterkunft bringt.
Pracht im Inneren des Schreins
Mit dem Tschador kann man auch Gespenst spielen
Nach einer zweiten Nacht in Maschhad fahren wir zum turkmenischen Konsulat mit der etwas bangen Hoffnung, dort unser Visum zu bekommen, das wir gute zwei Wochen zuvor in Teheran beantragt haben. Wir treffen dort wieder auf James und Anouck, die mit dem gleichen Ziel hier sind. Die Kommunikation mit den Mitarbeitern des Konsulats funktioniert ähnlich wie in Teheran: durch eine Luke werden das Anliegen des Bittstellers sowie sein Geld (55 Dollar pro Person) entgegen genommen. Diese Luke ist diesmal mit Wohlwollen so groß wie ein DIN A4 Blatt Papier. Wir müssen nochmals ein Formular mit den gleichen Fragen wie beim Antrag ausfüllen und bekommen dann mit einem „Congratulations! Your visa for Turkmenistan.“ unsere Pässe ausgehändigt.
Wir lassen Maschhad im Licht der tiefer stehenden Sonne hinter uns und werden in einem der Dörfer entlang der Straße wieder einmal nach Hause eingeladen. Die Gastfreundschaft geht hier so weit, dass uns unsere Gastgeber ein Zimmer geben und sie unter freiem Himmel im Innenhof schlafen. Mit einem großen Beutel Tee als Geschenk im Gepäck brechen wir am nächsten Morgen auf. Noch gute zweihundert Kilometer trennen uns von der nächsten Grenze und nach fast zwei Monaten im Iran fühlt es sich an, als würden wir eine vertraute Welt verlassen. Die Straße in den äußersten Nordosten Irans wird ruhig, karge Wüstenberge säumen unseren Weg und wir fahren monoton und einsam der kleinen Grenzstadt Saraghs entgegen. Ein kleiner Schlenker im letzten Abendlicht führt uns zu einem großartig stillen Platz in der Wüste, wo uns der Vollmond beim Aufbau des Zeltes leuchtet. Die Begegnungen an diesen letzten Tagen im Iran sind rar und schön. Ein Hirte lebt mit seinen Tieren im Nirgendwo in ein paar verfallenden Häusern und bietet uns Tee vom offenen Feuer an, eine Familie hält mit dem Auto an und schenkt uns ein komplettes Mittagessen, reisetauglich verpackt. Es ist, als wolle es uns der Iran schwer machen, sich zu verabschieden. Kurz vor Saraghs treffen wir wieder auf James und Anouck, fahren die letzten Kilometer gemeinsam und quartieren uns in einem leicht herunter gekommenen Hotel am Ortseingang ein.
In den stillen Osten hinter Maschhad
Die letzten Kilometer nach Saraghs…
Saraghs ist wie so oft ein verstaubter, etwas ruppiger Grenzort. Wir machen ein paar Besorgungen, kümmern uns um die Technik der Trikes, die jetzt für eine straffe, weite Etappe taugen müssen und fahren morgens zur nahen Grenze, eine Mischung aus Wehmut und Neugier im Gemüt. Die iranischen Grenzer sind freundlich und entspannt, die Grenzstation ist unaufgeräumt und alles wirkt ein wenig chaotisch. Es dauert eine Weile bis wir draußen sind und über eine kleine, in die Jahre gekommene Brücke ins Niemandsland zwischen Iran und Turkministan rollen. Auf turkmenischer Seite dann ist alles blitzblank und es liegt eine unerbittliche Strenge in der Luft. Wir fahren mit den Trikes in das Grenzgebäude, unsere Taschen werden gescannt und wir fotografiert. Mit einem „Welcome to Turkmenistan“ öffnen uns die Grenzer die Tür und wir fahren hinaus in eine blendend helle, gnadenlos flache Wüstenlandschaft, in ein Land, das zu den verschlossensten der Welt gehört. Wir sind in Turkmenistan!