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Wir schließen unsere Trikes unter einem kleinen Vordach ab und Ali, unser Gastgeber fährt uns zum Busbahnhof. Ein paar Mal geht es hin und her, bis wir verlässlich wissen, wo der Bus nach Teheran abfahren wird, doch bald darauf sitzen wir in riesigen, bequemen Sesseln und werden mit allerlei süßen Leckereien für die Fahrt versorgt. Zum Glück denkt Ali mit, im Gegensatz zu uns. Er ist schon losgefahren, dreht aber nochmal um und drückt uns seine Telefonnummer in die Hand. Wir hätten sonst beim Zurückkommen ganz Chaloos durchsuchen müssen, um wieder zu den Trikes zu finden! Der Bus setzt sich in Bewegung und es ist schön, mal entspannt und passiv die Landschaft an sich vorbeiziehen zu lassen. Aus der Ebene mit ihren Reisplantagen und Teefeldern sehen die nahen Berge aus wie sanfte, grüne Hügel, zwischen die wir jetzt eintauchen. Die Straße wird von einem wilden, ungestümen Fluss begleitet und je höher sie sich hinaufwindet, desto spektakulärer wird die Landschaft. Steile Felswände ragen neben uns auf, Tiefblicke in die Schlucht rauben den Atem und langsam wird das Grün weniger. Als wir einen Pass auf über 2000 Metern Höhe erreichen, wird es trocken und braun und nur vom Grund des Tales leuchtet es noch grün empor.

Durch die Schluchten des Elbursgebirge


Ab der Passhöhe gibt es kein Grün mehr…

… außer am Talboden.

In der Ferne lässt sich bereits hell gleißend die heiße Ebene südlich der Berge erahnen, die Teheran die berüchtigte Sommerhitze bringt. Wir fahren im endlosen Strom von Autos auf vielspurigen Straßen und kommen langsam aus den Schluchten der Berge in die Wälder von Hochhäusern der Vororte Teherans. Es dauert noch eine gute halbe Stunde, bis wir in der glühenden Nachmittagssonne den Busbahnhof erreichen und aus der Kühle des klimatisierten Busses heraustreten. Die Hitze umfängt uns wie ein samtener Stoff, der sich nahtlos in jede Beugung des Körpers legt. Wir gehen nur wenige Schritte bis uns ein Taxifahrer anspricht. Der Preis erscheint uns vertretbar und so fahren wir los in das Gewimmel, das Durcheinander und den Lärm in den Betonschluchten der Stadt.

Hochhauswälder


In den Betonschluchten der Stadt

Teheran kommt nie zur Ruhe

Die Fahrt in dem alten Auto wohl aus sowjetischer Produktion führt uns quer durch die halbe Stadt über breite Autobahnen, grün bepflanzte bessere Viertel, enge Gassen zwischen Hochhäusern, die das Sonnenlicht so sehr abschirmen, dass es hier unten fast dunkel ist. Eine gute Stunde später sind wir angekommen im kleinen, feinen Iran Cozy Hostel, das in einer Seitenstraße hinter einem roten Eisentor liegt. Wir klingeln und eine Frau macht uns auf. Erleichtert treten wir in den schattigen Innenhof und freuen uns über die Melone, die wir gleich als Begrüßung bekommen. Mom, die nicht nur von ihren Kindern, sondern von allen anderen so genannt wird und ihr Sohn Kami kümmern sich rührend um alles, was wir brauchen, von Tipps zu Ausflügen und Essen, der Ubahn bis hin zu einer iranischen SIM-Karte. Wir richten uns ein, um am nächsten Tag meine Mutter vom Flughafen abzuholen, die uns besuchen kommt. Es ist schön, sich nach langer Zeit wiederzusehen und eine interessante Vorstellung, mit dem Fahrrad hierher gekommen zu sein, wo sie die Abkürzung mit dem Flugzeug genommen hat. Wir verbringen den ersten gemeinsamen Abend in der Nähe des Hotels, essen in einem Straßenrestaurant erstklassigen Kebab und lassen uns erstmal Zeit zum Ankommen, haben wir doch vier Wochen Vorsprung in kultureller Akklimatisation. Anfangs dachten wir wir daran, eventuell neben Teheran noch Isfahan zu besuchen, doch es gibt hier so viel zu sehen, dass wir davon Abstand nehmen.

Ankunft am Flughafen

Der Basar von Teheran gilt als einer der größten weltweit. Schon der Platz davor ist überfüllt, Händler bieten Kleidung, Essen und Getränke feil, es herrscht ein wildes Gewirr von Stimmen und der Duft von Kräutern und Gewürzen liegt in der Luft. Wir biegen spontan in eine der Gassen ein, essen in kleinen Buden zu Mittag und bestaunen das unermüdliche Werben der Saftverkäufer um Kunden. Teilweise sieht der Basar aus wie eine Shopping Mall mit kleinen Läden, in denen es Schuhe und Klamotten, Geschirr und Alltagsdinge zu kaufen gibt, teilweise gleicht er einer großen Industriehalle mit kleinen Werkstätten, in denen Dinge aus Metall und Leder gefertigt und repariert werden und wieder in anderen Gassen gibt es alles an Essen, was das Herz begehrt. Wir besuchen die Teppichhändler und die Meister, die alte Teppiche reparieren können, besichtigen die alten Moscheen im Basar und lassen uns die meiste Zeit einfach treiben. Angenehm ist, dass wir nur sehr selten angesprochen werden und in Ruhe unserem Tempo, unserem Rhythmus folgen können.

Eingang zum Großen Basar von Teheran


Nüsse und Früchte am Basar

Eine offene Gasse im Basar


Geschäftstüchtige Saftverkäufer

Alles was das Herz begehrt


In einer der Kuppeln des Teheraner Basars

Imam Khomeini Moschee


Im Inneren des Teils für Frauen

Begeistert sind wir vom Teppichmuseum, das uns Kami empfiehlt, der ein wahrer Teppichliebhaber ist. Das Museum ist in einem kleinen Park gelegen und schon architektonisch weist es den Besucher auf seinen Inhalt hin. Die Außenseite ist einem Webrahmen nachempfunden. Innen können wir Stunde um Stunde verbringen und werden der Pracht nicht überdrüssig. Aus fünf Jahrhunderten werden hier Teppiche ausgestellt, geknüpft und gewoben, raumfüllend groß und zierlich klein, aus Wolle und Seide, mit Silber- und Goldfäden bereichert, mit Ornamentik und bildlichen Motiven und in allen nur denkbaren Farben. Die erste Zeit wandern wir einfach von einem Exponat zum anderen, spüren den endlosen Linien nach, die in prächtigen Blüten enden, bewundern die Vielfalt an Formen und die grandiose Symmetrie der Meisterwerke und bestaunen ehrfürchtig die Jahrtausende alte Kunst.

Jeder Teppich ist ein ganzes Universum


Zum Vergleich!

Vielfalt der Formen und Farben


Feinste Details im Großformat

Jahrhunderte alte Meisterwerke


Dreidimensional geschnittener Teppich

Teppich in Webtechnik


Unerwartete Formenvielfalt

Sachkundige Führung durch Moones Moghise

Eine Mitarbeiterin des Museums bietet uns schließlich eine Führung an und erzählt über die unterschiedlichen Techniken der Teppichproduktion, die historischen Hintergründe – beispielsweise gibt es hier Perserteppiche aus polnischen Königshäusern des 17. Jahrhunderts – und typische Motive wie den Baum des Lebens, die immer wieder auftauchen. Wir trinken im Anschluss im Cafe des Museums duftenden, leuchtend hellroten Tee aus Rosenblüten und Safran und unterhalten uns angeregt mit der Museumsmitarbeiterin und der Besitzerin des Cafes. Anschließend fragen wir nach einem Restaurant und da die beiden gerade Zeit haben, nehmen sie uns im Auto mit und wir essen gemeinsam. Wieder mal wollen wir im Anschluss zahlen und es ist bereits erledigt. Zufrieden und körplich wie seelisch gesättigt kehren wir in unser Hostel zurück.

Im Cafe des Teppichmuseums


Rosenblüten und Safran

Gemeinsames Essen

Ein weiterer Besuch gilt dem Golestan Palast, der vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zur iranischen Revolution 1979 Sitz des persischen Monarchen war. Der Palast ist eine weitläufige Anlage mit gepflegtem, ruhigem und schattigem Park und wahrhaft üppigen und prunkvollen Gebäuden. Beeindruckend sind die handbemalten Fliesen mit einer Vielzahl an Motiven, die Tausenden und Abertausenden von Spiegeln im Inneren der Zimmer und die feinen Intarsien der Möbel und Holzverkleidungen. Eine Sammlung feinsten Porzellans aus allen Gegenden der Welt lässt den unermesslichen Reichtum der persischen Könige erahnen.

Der Golestan Palast…


… in seiner Parkanlage

Glas und Gloria…


… vom Boden bis zur Decke

Die Glitzerwelten des 19. Jahrhunderts


Spieglein, Spieglein an der Wand

Spiegelwelt


Jede Fliese ist anders bemalt

Feinste Holzintarsien


Bemalte Wandfliese mit Jagdszene

Picture?

Auch geschichtlich können wir unseren Horizont erweitern und das auf ungewöhnliche Weise. Im Zweiten Weltkrieg wurden Hunderttausende Polen in kasachische und sibirische Arbeitslager verschleppt. Doch nach dem Überfall auf die Sowjetunion durch die Deutsche Wehrmacht sah sich Stalin gezwungen, mit den Westalliierten zu kooperieren. Es wurde ein Abkommen zur Wiederherstellung des polnischen Staates und zur Bildung einer Armee aus Polen in der UdSSR unterzeichnet. Diese Armee bildete sich im Iran, der unter britischer und sowjetischer Besatzung stand. Den Gefangenen wurde gesagt, sie seien nun frei und könnten sich dieser Armee anschließen. So machten sich Hunderttausende hungernder Menschen auf den Weg, kamen mit Schiffen über das Kaspische Meer in die iranische Küstenstadt Bandar Anzali und wurden auf verschiedene iranische Städte verteilt. Viele starben an Hunger und Krankheiten und wurden bereits an der Küste beerdigt. Die Überlebenden wurden unter anderem nach Teheran gebracht, wo sie von der iranischen Regierung herzlich aufgenommen wurden und nach Monaten Kälte und Entbehrungen endlich wieder ein sicheres Obdach und Nahrung hatten. Heute kann man den abseits und ruhig gelegenen Friedhof besichtigen und auf den Grabsteinen die zahlreichen polnischen Namen lesen, von denen jeder einzelne für ein Schicksal in tragischen Zeiten steht, von dem bei uns wenig bekannt ist.

Erinnerung an die polnischen Exilanten, die auf dem Weg in die Heimat die ewige Ruhe fanden.


Die Gräber des polnischen Friedhofs von Teheran

Nicht nur die arabischen Länder, sondern auch der Iran hat einen Turm, um sich entsprechend mächtig zu präsentieren: den Borj-e Milad. Er gehört mit 435 Metern Höhe zu den größten Bauwerken weltweit und bietet einen atemberaubenden Blick über die Millionenmetropole Teheran. Im Norden säumen mächtige Berge die Stadt, Richtung Süden verliert sie sich im hellen Dunst der endlosen Weite. Wir verbringen einige Zeit mit den beeindruckenden Fern- und Tiefblicken, besuchen das Wachsfigurenkabinett mit berühmten persischen Persönlichkeiten und bewundern die Ausstellung historischer Globen, auf denen weite Teile Amerikas und Afrikas noch aus weißen Flecken bestehen.

Der Burj-e Milad


Endloses Häusermeer

Blick nach Norden


Der Wilde Westen ist noch nicht erschlossen

Afrika ist noch ein weißer Fleck auf der Landkarte


Himmelsmechanik

Zwischen den Besichtigungen verbringen wir die Zeit mit netten Gesprächen mit unseren Gastgebern und anderen Gästen, die aus verschiedenen Teilen der Welt hier in unserem Hostel ankommen. Unter ihnen ist ein schwedisches Team der Mongol Ralley, einem mehr dem Spaß als dem Wettbewerb verpflichteten Autorennen, bei dem es darum geht, ein untermotorisiertes altes Auto in die Mongolei zu bringen. Mitten in der Zeit erreicht uns die Kunde eines Terroranschlags auf eine Gruppe von Fahrradfahrern in Tadschikistan, unweit der Route, die wir nehmen wollen. Die Nachricht von vier Toten aus den USA, den Niederlanden und der Schweiz lässt uns schockiert, traurig und ratlos zurück. Nach dem ersten Innehalten mache ich mich daran, nach Alternativen zur geplanten Strecke zu suchen und versuche, mich innerlich vom lang gehegten Traum zu verabschieden, den Pamirhighway mit dem Fahrrad zu fahren. Mal sehen…

Mit Mom und Kami im Iran Cozy Hostel

Wir verabschieden meine Mutter, die wieder in Richtung München aufbricht und bleiben noch einen Tag länger, um uns auf die weitere Fahrt vorzubereiten. Unser nächstes Ziel liegt noch weit von einer endgültigen Entscheidung bezüglich der Route entfernt und deshalb fahren wir am letzten Tag unserer Zeit in Teheran zur Botschaft Turkmenistans, um ein Visum zu beantragen. Sorgfältig und mehrfach habe ich alles durchgelesen, was zur Beantragung dazugehört. Turkmenistan gilt als eines der verschlossensten und unfreiesten Länder der Welt und dementsprechend strikt wird die Vergabe von Visa gehandhabt. Das Maximum, das ohne Buchung einer teuren organisierten Tour möglich ist, sind 5 Tage Transitvisum, d.h. gerade mal ausreichend, um mit Anstrengung die 500 Kilometer vom Iran bis Usbekistan mit dem Fahrrad zu schaffen. Erforderlich sind pro Person Passbilder, zwei weitgehend redundante Formulare – meine Empfehlung wäre ein Kopierer – und ein Schreiben an den Botschafter, in dem man dalegt, warum man das Land denn durchqueren möchte. Na ja, dumme Frage: damit man in das nächste Land einreisen kann. So schreib ich es dann aber doch nicht.

Der kühle Teheraner Norden

Die turkmenische Botschaft liegt im grünen, kühlen äußersten Norden Teherans. Als wir dort ankommen, gehen wir nicht etwa in das Gebäude hinein, sondern kommunizieren bittstellerhaft durch eine kleine Luke mit dem Botschaftsmitarbeiter. Zumindest sind wir nicht allein. Anouck und James aus Frankreich haben ähnliche Pläne und wir kommen nett ins Reden. Die beiden sind seit sieben Monaten unterwegs und haben eine wunderschön mäandernde Odyssee durch Deutschland, Skandinavien, das Baltikum, Osteuropa und den Kaukasus hinter sich. Ihrer Reise haben sie ein außergewöhnliches Leitmotiv gegeben: Monster. Sie sprechen mit den Menschen in den Ländern über Märchen und Sagen, in denen Ungeheuer, unheimliche Gestalten und wilde Fabelwesen vorkommen. James zeichnet diese dann mit großer Kunstfertigkeit. Wir tauschen Kontaktdaten aus und vereinbaren, uns in Maschhad zum Abholen der Visa wieder zu treffen.

Zurück im Hostel packen wir schließlich zusammen, verabschieden uns von Kami und Mom und eilen los, in die Hitze des späten Nachmittags, das Gewirr der Straßen und die brechend volle Ubahn, die uns zum Busbahnhof bringt. Dort angekommen, weiß keiner wo denn der Bus nach Chaloos abfährt. Wir rennen mit den schweren Taschen hin und her, mit langsam etwas nervösem Blick auf die Uhr. Schließlich kann uns ein Mitarbeiter eines Busunternehmens aufklären: es gibt einen zweiten Busbahnhof und zwar ganz woanders. Also kehrt. Wir haben 45 Minuten und ebenso lange dauert es mit der Ubahn dort hin. Wieder mal rührend hilfsbereit sind die anderen Fahrgäste, die uns schnellen Schrittes begleiten, damit wir auch ja richtig gehen. Abgehetzt schaffen wir es gerade rechtzeitig, noch ein Ticket zu ergattern. Erst heißt es, es gebe keine Tickets mehr. Doch dann: „Please wait.“ Irgendwie geht es dann doch. Etwas ruhiger werden wir, als der Bus einige Minuten Verspätung hat und freudig entspannt sind wir schließlich, als uns ein freundlicher, fürsorglicher älterer Mitarbeiter des Busunternehmens noch einen dampfenden Tee vorbei bringt.

Schnell noch einen heißen Tee

Der Bus rollt langsam los, wir machen es uns bequem und fahren in einem Meer aus roten Rückleuchten in die beginnende Nacht. Irgendwann holt uns der Schlaf in sein Reich und nach ein paar Stunden stehen wir schlaftrunken und fröstelnd im dunklen Chaloos. Zurück in Alis Haus gehen wir bald ins Bett, denn morgen geht es los in die große unbekannte Weite des iranischen Ostens: Es sind noch 1200 Kilometer bis zur turkmenischen Grenze.

Alis Telefonnummer, um die Trikes wiederzufinden


Gut verpackt haben sie auf uns gewartet