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Der Morgen beginnt mit duftendem Tee, Rührei, frischem Brot und dem berühmten Honig der Region, der mitsamt der Wabe gegessen wird. Wir packen schweren Herzens zusammen und verabschieden uns mit Fotos und vielfachen Beteuerungen, sie alle niemals zu vergessen. Zum Abschied bekommen wir von den Mädels noch kleine Geschenke, die uns auf der Reise begleiten sollen. Dann rollen wir los in die morgendlichen Straßen von Ardabil.

Pünktlich zur Mittagszeit werden wir von einer jungen, freundlichen, sehr traditionell gekleideten Frau in einem kleinen Dorf zum Essen eingeladen. Wir wollten ohnehin Pause machen und so passt die Einladung richtig gut. Zudem müssen wir das Zelt von der Nacht vor drei Tagen noch trocknen und bauen es unter neugierigen Blicken im Hof der Familie auf. Danach betreten wir das Haus. Es sind Familienmitglieder aus anderen Orten angereist und so befinden wir uns in großer Runde beim Essen. Die Frauen sind noch zurückhaltender als sonst, uns Gästen begegnen die Menschen sehr zuvorkommend und ich habe den Eindruck, als gebe es für jede Handlung eine ungeschriebene Regel, wie sie auszuführen sei. Die Frau die uns eingeladen hat, betont auch mehrfach, dass sie sehr religiöse Menschen seien. Für uns ist es schön und sehr fremd zugleich, in eine solche Welt einzutauchen.

Einladung zum Mittagessen

Der weitere Weg führt in nervenraubendem Verkehr und Gegenwind in Sturmstärke in Richtung des letzten Passes vor der Kaspischen Senke. Oben haben wir den Eindruck, der halbe Iran habe sich hier zum Picknick versammelt. Autos stehen munter verteilt in den Wiesen, Rauchschwaden hängen in der Luft und es duftet nach Grillfleisch. Ganze Großfamilien sitzen unbekümmert direkt an der Straße, im Schatten der Bäume, weiter oben an den Hängen und einige haben sogar Zelte aufgebaut. Auf der Passhöhe führt die Straße durch einen Tunnel. Leider ist dieser erstmal eine halbe Stunde nur für den Gegenverkehr geöffnet und so heißt es warten. Schließlich stoppt ein Polizist den unaufhörlichen Strom an Autos und winkt mich zu sich heran. Er gibt mir zu verstehen, dass der Tunnel sehr gefährlich sei und sie uns deshalb begleiten wollen. Und so fährt ein Streifenwagen mit Blaulicht vor uns her, damit wir sicher auf die andere Seite gelangen.

Endloser Strom von Autos auf dem Pass


Mit Polizei durch den Tunnel

Die höchste Stelle liegt auf 1500 Metern, doch nach unten sind es mehr, denn das Kaspische Meer liegt unter dem Meeresspiegel. Die Hoffnung, es werde auf der anderen Seite der Berge ruhiger, erfüllt sich nicht. Wir sind in einer touristischen Gegend gelandet, die sich vom Gegenstück in den Alpen nur dadurch unterscheidet, dass ausschließlich einheimische Touristen unterwegs sind. Es dämmert bereits, als wir an einer der vielen Buden am Straßenrand anhalten, um Abend zu essen. Wie so oft gibt es überdachte, mit Teppich ausgelegte Podeste, die das Gefühl vermitteln, in einem Beduinenzelt zu sitzen. Das Podest neben uns ist durch einen Vorhang von uns abgetrennt und nach einer Weile ertönt unverkennbar neugieriges Getuschel zu uns herüber. Der Vorhang bewegt sich und neugierige Kinderaugen spähen hindurch. Wir sind und bleiben hier Attraktion. Zum Ende des Essens spricht uns eine Frau namens Nasrin an, die mit Familie da ist. Ohne viel hin und her fragt sie uns: „You want to come to our house?“ Sie wohnen unten am Meer in Astara und ich sage ihr, dass es durchaus noch zwei Stunden dauern kann, bis wir die knapp 40 Kilometer hinabgefahren sind. Das sei egal, sie wolle uns einfach gerne einladen. Wir vereinbaren einen Treffpunkt, verabschieden uns und als ich das Essen bezahlen will, sagt mir der Kellner, das sei schon geschehen.

Abendessen auf Teppichen


Wir vereinbaren einen Treffpunkt

Jetzt geht es wirklich lange nach unten. Mir kommt der Gedanke „Wenn es jetzt noch weiter geht, landen wir in der Hölle!“ So weit geht es dann auch wieder nicht, aber eine echte Hölle ist der Verkehr. Wobei das Wort „Verkehr“ im Iran irreführend ist, löst es doch implizit die Erwartung von „Verkehrsregeln“ aus. Hier gibt es jedoch etwas, das sich mit „Verkehrsmöglichkeiten“ besser beschreiben lässt. Während es bei uns meist genau eine Regel gibt, wie Dinge laufen sollen, sind es hier eine Vielzahl von Möglichkeiten, die dem werten Verkehrsteilnehmer offenstehen.

Zum besseren Verständnis des geneigten Lesers hier ein paar Beispiele:

  • Auf einer zweispurigen Straße führt eine Spur in die eine, die zweite in die andere Richtung. Andere Möglichkeiten sind zu dritt nebeneinander zu fahren, bei Gegenverkehr zu überholen und die Zahl der Spuren flexibel zwischen 2 und 5 variieren zu lassen.
  • Wenn man Moped fahren möchte, kann man warten bis man 16 ist und einen Führerschein machen. Möglich ist aber auch, als Achtjähriger einfach loszufahren und die Geschwister (6 und 3) mitzunehmen.
  • Auf einer Autobahn besteht die Möglichkeit, auf der einen Seite in die eine Richtung zu fahren, auf der anderen Seite in die andere Richtung. Man kann aber auch umdrehen oder von vornherein gegen die Fahrtrichtung fahren, wenn einem das besser passt. Gleiches gilt für den Kreisverkehr: warum 270 Grad herum fahren, wenn ich doch nur 90 Grad zum Linksabbiegen brauche?
  • Wenn man Kinder im Auto befördern will, kann man sie in einen Kindersitz setzen und anschnallen. Es stehen dem kreativen Elternteil aber auch viele weitere Optionen offen: stehend in der Mitte (gerne auch mit dem Kopf aus dem Schiebedach), sitzend im Autofenster, auf dem Schoß des Fahrers, auf der LKW Ladefläche oder auf dem Arm des zweiten Beifahrers auf dem Motorrad.
  • Wenn es dunkel wird, kann man das Licht einschalten oder statt dessen den Warnblinker, wenn das Licht nicht funktioniert. Frontscheinwerfer können weiß sein, aber nur wenn mir das auch gefällt. Wenn nicht, können sie auch blau blinken.
  • Man kann einen Helm aufsetzen und Fahrrad fahren oder man setzt keinen Helm auf und fährt Motorrad, z. B. als Polizist. Im Auto kannst Du Dich anschnallen oder den Sicherheitsgurt nur locker über Schulter und Bauch legen, damit die Polizei denkt, Du seist angeschnallt.
  • Wenn man einen langen Gegenstand transportieren möchte, z. B. eine Schaufel oder einen Rasentrimmer, ist ein Kombi eine gute Option, gerne auch mit Sicherung, wenn man scharf bremsen muss. Genau so möglich ist es, sich die Schaufel oder den Trimmer hinten quer auf das Moped zu schnallen.

Dies als Erläuterung, warum unsere nächtlichen zwei Stunden hinab nach Astara nicht wirklich entspannt verlaufen. Die Autos, Lieferwagen, Laster und Busse überholen uns in einem fort, wir werden eingenebelt von ekelerregender Atemluft jahrzehntealter Diesel und sind während der gesamten Fahrt hochkonzentriert darauf bedacht, keinen Fehler zu machen.

Doch schließlich kommen wir wohlbehalten in tropischer Nacht unten an, abgekämpft, erschöpft und doch neugierig, welche Welt uns hier im grünen Gürtel Irans erwarten wird. Wir sind eine gute Stunde zu spät am Treffpunkt, doch Bizhan, der Ehemann von Nasrin, hat geduldig gewartet. Er bedeutet uns ihm zu folgen und so geht es noch eine Weile durch die nächtlichen Straßen von Astara. Wir erwarten, zu einem Wohnhaus zu kommen, werden dann aber stutzig als wir in die gepflegte Anlage eines Hotels einbiegen. Ich wittere schon eine komische Nummer, doch weit gefehlt: da unsere Gastgeberin schon schläft, sollen wir hier im Hotel übernachten und selbstverständlich übernehmen sie die Kosten!

Bei Nasrin und Bizhan zu Hause


Die Männer nochmal extra

Nach einer erholsamen Nacht treffen wir uns am nächsten Tag zur Mittagszeit bei ihnen zu Hause. Im Gegensatz zu den letzten Familien ist hier alles sehr europäisch eingerichtet und auch die Kopftücher der Frauen kommen sofort herunter, kaum haben wir das Haus betreten. Wir essen, sprechen über vieles aus unserer und ihrer Welt und wir merken, dass wir hier kulturell und politisch nicht weit weg voneinander sind. Wir verbringen den Tag zusammen und starten in mondloser Nacht, um noch einige Kilometer zu fahren bis wir mit Hilfe von einigen Einheimischen einen wundervollen Platz direkt am Strand des Kaspischen Meeres finden. Der Wind weht und das sachte Rauschen der Wellen begleitet uns in den Schlaf.

Zeltplatz am Kaspischen Meer


Schlafen mit dem Rauschen der Wellen im Ohr

Morgens geht es weiter und durch unsere langsame Reisegeschwindigkeit und die exotischen Gefährte kommen wir schnell und einfach mit den Menschen ins Gespräch. Die Gastfreundschaft der letzten Tage und Wochen nimmt nicht ab, sondern steigert sich abermals. Besondere Momente sind immer die Einladungen zu den Familien nach Hause. Eines Abends biegen wir kurz vor der Stadt Rascht in eine kleine Seitenstraße ein, weil es dort günstig aussieht, einen Zeltplatz zu finden. Ein paar Jungs in Fußballtrikots kommen verschwitzt und zufrieden vom Training. Wir deuten auf die Straße, die ins Grüne führt und sagen das persische Wort „Tschador“ für Zelt mit der Geste, dass wir hier schlafen wollen. Typisch wie oft in solchen Situationen halten gleich ein, zwei Autos mit Neugierigen. Da wo wir hinwollen sei es „very dangerous“ und ein Mann lädt uns zu sich nach Hause ein. Die Gründe für die große Gefahr bleiben im Dunkeln, aber wir freuen uns.

Fußballjungs

Wir kommen in einen Innenhof, der von hohen Mauern und einem eisernen Tor geschützt wird. Innen im Haus ist es traditionell eingerichtet, d.h. es gibt keinen Esstisch und das Leben findet weitgehend auf dem Boden statt. Wir essen gemeinsam zu Abend, wobei wie so oft uns Gästen die leckersten, größten und besten Stücke angeboten werden. Die meisten Familienmitglieder sind Bauern, einer der beiden Söhne arbeitet bei der Bank. Am nächsten Morgen begleiten wir Mohsen, den Sohn, auf die Felder und bekommen einen Einblick in die Wirtschaftsweise dieser Region. Sie leben vom Reisanbau und von der Fischzucht. Neben dem großen Fischteich wird Getreide angebaut, das dann in Wasser eingeweicht als Fischfutter dient. Mohsen steigt in voller Montur hüfttief ins Wasser und versenkt große Schalen mit Futter. Ein alter Dieselmotor pumpt Wasser in hohem Strahl in den Teich, um Sauerstoff einzubringen und ich schaue lieber nicht so genau, wie gut das alte Ding gegen auslaufenden Dieseltreibstoff geschützt ist. Die Fische verkaufen sie zum einen lokal, aber sie exportieren sie auch bis in den Irak. Auf dem benachbarten Feld baut Mohsens Bruder Reis an, der vom Vater in einem Laden an der Straße und in großer Menge an die Reisfabriken der Region verkauft wird. Wir verbringen den Vormittag mit Mohsen in der Provinzhauptstadt Rascht, flanieren durch die Fußgängerzone und sehen, wie sehr die üppige Landwirtschaft hier zu mehr Wohlstand führt.

Mit Mohsen in den Feldern


Mohsen beim Füttern der Fische


Spaziergang durch Rascht

Auf dem Weg zur Arbeit

Am Abend darauf kommen wir nach einem anstrengenden Tag mit üblem Verkehr spät in einer kleinen Stadt an. Natürlich haben wir dort keine echte Ruhe, denn wie immer ist die halbe Stadt auf den Beinen. Wir suchen in der Navigationsapp nach grünen Flächen in der Hoffnung auf einen ruhigen Schlafplatz. Wieder einmal werden wir auf den Park hingewiesen. „Wollen wir es nochmal probieren?“ frage ich. Daria ist einverstanden, schließlich ist es spät und die Hoffnung stirbt zuletzt. Doch es bringt nichts, immer wieder das Gleiche zu probieren und auf ein anderes Ergebnis zu hoffen. Wieder sind eine Menge Leute im Park, sobald wir stehen bleiben, bildet sich ein Ring von Schaulustigen um uns und wir fliehen schließlich wieder. Müde radeln wir zum Ortsausgang und kommen nochmals an der Stelle vorbei, an der wir vorher schon den Hinweis auf den Park bekommen hatten. Eine Frau sagt, dass wir hier nicht weiterfahren könnten, sondern in Richtung der großen Straße müssten. Sie wisse aber eine Stelle für das Zelt und könne uns hinführen. Sie nimmt ihre zwei jungen Mädels mit und wir tingeln gemeinsam die nächtliche Straße hinunter bis zu einem großen Kreisverkehr, der die große Umgehungsstraße mit der Stadt verbindet. Mutig überqueren wir die Straße und sie sagt, am drüberen Ende könnten wir schlafen, es gebe sogar eine Toilette. Oh je, nein, das war´s wieder nicht. Wer könnte bei diesem Verkehr schlafen? Wir fahren zurück, weil dort eine große, unbeleuchtete Wiese war. „No! It´s very dangerous here! Robbers, Snakes!“ Diese wieder mal größte Gefahr bleibt im Dunkel der Wiese verborgen und die Frau sagt ein paar Sachen auf Persisch. Eine der beiden etwa 11 Jahre alten Mädels springt plötzlich freudig in die Luft und sagt „Yes, yes!“

Abends vor der Eisdiele

Wir werden nach Hause eingeladen und das Zögern hatte lediglich den Grund, dass die Frau mit den Kindern alleine wohnt. So groß war das Vertrauen zu zwei unbekannten Vagabunden mitten in der Nacht eben doch nicht. Doch sobald die Entscheidung da ist, wird es fröhlich. Wir essen noch ein verführerisch süßes und kaltes Eis von der Eisdiele, die sie betreiben, beglückwünschen einen Verwandten, der Geburtstag feiert mit einem Happy Birthday Ständchen und betreten wieder mal ein unbekanntes Zuhause. Wir verbringen den nächsten Tag bei ihnen, machen einen schönen abendlichen Ausflug in die Stadt und albern mit den pubertierenden Mädels herum. Zum Abschied bekommen wir auch noch einen großen Beutel duftenden Tee und eine unverschämt leckere persische Süßigkeit von der Schwester der Frau geschenkt. Es fällt wieder mal schwer, abzureisen.

Beim Frühstück


Nachmittag mit den Mädels

Eine Riesenpackung Tee als Abschiedsgeschenk

Die nächsten Tage geht es die Küstenstraße entlang, mal etwas näher am Wasser, mal näher an die üppig bewaldeten Berge heran. In den Gärten prangen Kiwis und Feigen, auf den Feldern steht der Reis in voller Pracht und die Luft ist tropisch warm und feucht. Störend ist nur wieder mal der viele Verkehr und so suchen wir mal erfolgreich, mal erfolglos kleine Nebenstraßen. Wenn es gut gelingt und die Straßen ohne viele Umwege und asphaltiert sind, ist es wunderbar. Das Grün ist saftig, die Dörfer verträumt und die Straßen schlängeln sich verspielt hindurch. Schon die Reisfelder führen geografisch in die Irre, doch als wir die weiten Teeplantagen durchqueren, haben wir endgültig den Eindruck, in Südostasien gelandet zu sein. Überall gibt es kleine Anlagen zum Trocknen des Tees, in Läden gibt es große Pakete zu kaufen und während der Fahrt trägt der Wind uns immer wieder zarten blumigen Duft in die Nase. Es ist, als würden wir mit dem Fahrrad durch einen grün eingerichteten Teeladen fahren.

Immer wieder ein Blick auf´s Meer


Ruhe in den Reisfeldern


Überall Tee!

Teeplantagen von Gilan

Einmal werden wir von einem Mann angesprochen, der ein Hotel in der Nähe betreibt. Er lädt uns ein, zu kommen. Wir müssten auch nichts bezahlen. Anscheinend kommen so wenige Touristen hierher, dass seine Anlage leersteht. Wir sprechen recht ausführlich über die Situation und wir lassen 10 Dollar da, weil es uns wirklich unangemessen vorkommt in einem Hotel nicht zu bezahlen.

Ein nett gestaltetes Hotel, aber kaum Touristen

Nach einem kurzen Stück Schotterstraße bemerke ich plötzlich beunruhigende Geräusche vom Hinterrad. Diese kommen nur beim Treten und ich spüre auch in den Füßen ein Vibrieren, Krachen, jedenfalls etwas, das nicht stimmt. Wir halten bei ein paar Häusern an, wieder sind sofort Leute um uns herum und alle wollen sofort helfen. Dies ist mir jedoch nicht ganz so recht, weil mir das Ölen aller beweglichen Teile des Trikes nicht wirklich zielorientiert erscheint. Ich bremse den Aktionismus und wir haben Glück. Eine Frau spricht richtig gutes Englisch. Ich frage sie nach Internet, weil ich mir keinen rechten Reim machen kann, was das Problem ist und mich die Sorge umtreibt, es könne die Rohloff Schaltung sein. Das wäre ein echter Spaßverderber! In der Tat gibt es hier ein WLAN und ich kann ein paar Anfragen an den Hersteller und den Händler des Trikes absetzen. Die Weiterfahrt ist machbar, wenn auch nach wie vor mit Sorge belastet.

Am Abend werden wir wieder nett angesprochen von einem Mann auf dem Fahrrad. Sein Name ist Mehdi und er spricht ganz passables und sehr lustiges Englisch. Er zeigt uns mit sichtlichem Stolz die Bilder anderer „Cycling Tourists“ und lädt uns in das Haus seiner Schwester ein. Und so biegen wir in der beginnenden Nacht in eine Seitenstraße ein und fahren ein paar Minuten über die Felder zum Haus. Mary, Mehdis Schwester, ist kein bisschen erstaunt, als ihr Bruder mit uns auftaucht. Sie hat im Gegenteil den Kühlschrank prall gefüllt und tischt für uns noch ordentlich auf. Der Abend ist lustig, Mehdi erzählt in Länge und Breite von seinem Haus „in da middle of nowhere, no electricity, no water, just forest“, nur übermannt uns bald die Müdigkeit und so gehen wir schlafen. Am nächsten Morgen zeigt sich, dass wir echt Glück haben. Mehdi betreibt einen Bike Shop und ist technisch recht fit. Ich habe mittlerweile die Info bekommen, dass die Probleme wahrscheinlich vom verschlissenen Ritzel kommen und sich durch Wenden desselben beheben lassen. Wir bauen also guten Mutes das Hinterrad aus, entfernen den Ring, der das Ritzel an seinem Platz hält und siehe da, es lässt sich problemlos ausbauen und wenden. Wir ziehen die neue Kette auf und ich setze mich mit etwas banger Erwartung in mein Trike und fahre los. Ich höre nichts mehr! Die Erleichterung und die Freude sind groß, habe ich doch schon in Gedanken Pläne B und C durchgespielt.

Zu zweit geht´s leichter


Ritzel wenden mit Mehdi

Wir bleiben den Tag bei Ihnen und fahren zum Baden ans Meer. Dort ist Vorgabe für die Frauen, nur in voller Montur, sprich mit Kopftuch und langem Umhang ins Wasser zu gehen. Für die Männer gibt es keine Vorschriften. Dem Spaß im warmen Wasser tut das jedoch keinen Abbruch. Die Wellen umspülen uns, wir tauchen hindurch und lassen uns treiben, den Blick in den Himmel. Sommerlich warm fahren wir auf dem Fahrrad – richtig, nicht Trike – zurück zum Haus und lassen den Abend mit Ratschen und nett beisammen sitzen ausklingen. Es gibt wieder von Mary kunstvoll zubereitetes Essen mit vielen Zutaten direkt aus dem Garten. Interessant ist, dass die beiden keine Moslems sind. Mehdi ist Anhänger des Zoroastrismus, einer alten Religion, die auf Zarathustra zurückgeht und in Indien und Persien beheimatet ist. Mary ist Christin, was innerhalb der eigenen vier Wände offensichtlich ist, denn sie trägt kein Kopftuch und die Räume schmücken Heiligenbilder und Kreuze. Ich hätte es so nicht erwartet, aber es ist irgendwie wie ein Stück Heimat in der Fremde.

Mit Mary und Mehdi


Guten Morgen von Mary

Am Meer!


Bei Mehdi und Mary im Hof

Die weitere Strecke führt entlang der großen vierspurigen Küstenstraße, was das Fortkommen effizient, aber nicht schön macht. Wir lassen die Trikes laufen, kommen gut voran und halten gegen Abend vor einem Restaurant, um Essen zu gehen. Wir studieren die Karte, als uns eine Frau anspricht, ob wir denn Italienisch könnten. Na ja, können ist zu viel gesagt, aber ein wenig verstehen und dann auf Spanisch antworten geht. Manizhe hat viele Jahre in Italien gelebt und ist jetzt wieder in den Iran zurückgekommen. Wir essen lecker, schlagen das Angebot bei Manizhe zu übernachten aus und brechen dann bald wieder auf, um noch ein paar Kilometer zu machen. Doch daraus wird nichts. Nach etwa zehn Minuten macht mich Daria darauf aufmerksam, dass mein Trike irgendwie unsicher läuft und ich stoppe, um die Räder zu überprüfen. Und siehe da, am Hinterrad ist eine Speiche gerissen und die restlichen Speichen sind bedrohlich locker. Also anhalten, das gesamte Gepäck herunternehmen und das Hinterrad wieder ausbauen. Nun bin ich ja kein Radlschrauber vor dem Herrn und Speichen wechseln ist nichts, was ich als Erfahrung in meinen Lebenslauf schreiben würde. Aber: einmal ist immer das erste Mal, also ran. Nach ca. zwei Stunden ist die Speiche eingebaut, das Rad läuft wieder ohne Achter und das Gepäck ist wieder drauf. Während der Aktion hält ein Mann bei uns an, dem eine Hand fehlt. Er sagt, er könne im Iran keine Prothese bekommen und nicht einmal die dringend nötigen Medikamente für seine Enkelin seien bezahlbar. Auch das ist eine bittere Folge der internationalen Isolation des Iran, der jahrzehntelangen Sanktionen und dem drastischen Verfall der Währung. Wir geben ihm einige Dollar, die er dankbar annimmt, können seine Situation aber nicht nachhaltig verändern. Wieder einmal wird uns bewusst, in welcher Wohlstands- und Freiheitsinsel wir in Europa leben.

Speichentausch

Nur leider ist es jetzt dunkel und wir haben in der dicht bebauten Küstengegend keinen Schlafplatz. Also fahren wir wieder zurück zum Restaurant, rufen bei Manizhe durch mit der Bitte, nun doch bei ihr übernachten zu dürfen. Zu Hilfe bei der Verständigung kommt uns ein Mann aus Afghanistan, der beinahe akzentfrei Deutsch spricht. Er ist hier im Iran auf Hochzeitsreise, lebt aber im Ruhrgebiet. Wir lassen die Trikes im Hof seiner Ferienwohnung und fahren mit Manizhe nach Hause. Sie wohnt in einer großzügigen Wohnung in einem der oberen Stockwerke eines Wohnblocks und hat wunderbare Aussicht auf die grünen Berge Gilans und vom Balkon auch ein Stück auf´s Meer. Wir sprechen noch, soweit es uns sprachlich möglich ist, über das Leben, das wie in ihrem Fall sehr hart sein kann. Manizhe ist Witwe und hat ihre beiden Kinder verloren, weil sie eine unheilbare Erbkrankheit hatten. Man spürt, dass sie vom Leben gezeichnet ist und doch nie aufgehört hat, sich zu behaupten und die mediterrane Leichtigkeit dazu dient, der Dunkelheit etwas entgegen zu halten. Mittlerweile ist es schon weit nach zwölf Uhr nachts und die Müdigkeit ist so übermächtig geworden, dass es mir schon wieder schwerfällt, Ruhe zu finden. Doch irgendwann ist der Schlaf fast da und dann klingelt es an der Tür. Masoud vom Restaurant ist da und hat auf Bestellung von Manizhe Pizza mitgebracht! Es ist ein Uhr Nacht, echt nett von Masoud, aber ich kann nicht mehr. Daria ist noch fit genug und setzt sich dazu, während ich versuche, wieder Schlaf zu finden. Nach wenigen Stunden klingelt uns der Wecker wieder raus. Wir frühstücken und passend zur italienischen Konversation gibt es Espresso, der uns halbwegs auf die Beine bringt.

Bei Manizhe zu Hause


Welch eine Aussicht!

Blick in die Berge

Unser Etappenziel heute ist der Ferienort Chaloos, den wir nach einem langen kilometerstarken Tag erreichen. Wir wollen hier die Trikes für eine Woche parken, aber noch haben wir keine Ahnung, wo wir übernachten und vor allem, wo wir die Trikes sicher unterbringen sollen. Doch es ist einfacher als gedacht. Wir fahren durch die dunklen Straßen, in denen einige Männern mit Schildern in der Hand stehen, für mich unverständlich, da nur auf Persisch. Wir bleiben in der Nähe stehen und ein Mann spricht uns auf Englisch an, Typ immer lächelnder Strandverkäufer, was wir denn suchten. Als wir ihm eine Unterkunft mit Unterbringungsmöglichkeit für unsere Gefährte nennen, führt er uns zu einem der Männer mit Schild, auf dem das persische Wort für „Villa“ zu lesen sei. Er kenne den Mann, er sei sogar mit ihm verwandt und wir könnten ihm vertrauen. Etwas stutzig werden wir, als er dennoch nach dessen Telefonnummer fragt, doch was soll´s, wir schauen uns das Angebot mal an. Wir fahren hinter dem Moped des Mannes her durch verwinkelte, schummrige Gassen. Die Unterkunft ist einfach und könnte sauberer sein, doch die Trikes sind hier richtig sicher aufbewahrt und dies ist uns das Wichtigste.

Wenn man´s weiß, heißt es „Villa“

Wir packen unsere Sachen für etwas, was uns nach Wochen und Monaten Fahrradtour richtig seltsam vorkommt: eine Busfahrt. Morgen geht es los über hohe Pässe in die Stadt, die man hasst oder liebt, die acht Millionen Menschen ein zu Hause ist, deren Verkehr, Smog und Hitze berüchtigt sind, die ein Hort der Liberalität in der islamischen Republik ist, die Jahrhunderte Sitz verschiedenster Herrscher war.

Ich bin gespannt auf Teheran!