Armenien hat etwas Wunderbares. das wir sonst bisher so nicht erlebt haben: Wann immer wir auf den staubigen Straßen unterwegs sind, in kleinen Buden essen gehen, in einer Unterkunft übernachten – wir bekommen immer wieder etwas geschenkt, als seien wir in erster Linie Gäste oder Freunde und nur in zweiter Linie Verkehrsteilnehmer oder Kunde. Auf dieser Fahrt ist es Eis. Ungelogen drei Mal hält jemand mit dem Auto an und reicht uns ein kaltes Eis heraus, das wir dankbar um die Abkühlung gerne annehmen.
Zwischendrin machen wir bei 40 Grad im Schatten halt für eine Mittagspause, unterhalten uns mit einer fröhlichen Frau, die uns wegen der polnischen Fahne anspricht und gleich mit kühlem Wasser aus der nahegelegenen Bankfiliale herbeieilt. Ihr Bruder lebt in Polen und wir sind erstaunt, welch unglaublich guten Ruf unser östlicher Nachbar hier im Kaukasus hat. Polen gilt als wirtschaftlich erfolgreich, sie bewundern die Mitgliedschaft in der europäischen Union und insgesamt haben wir den Eindruck, Polen sei eine Art Vorbild und auch Ziel, um sich als Gastarbeiter zu verdingen. Zutiefst verständlich wird das, als die Frau uns ihren Monatslohn als Reinigungskraft nennt: umgerechnet 40 Euro bei 6 Tagen Arbeit pro Woche. Irgendwie seltsam – wir sind gerade mal etwa 3 Flugstunden von Deutschland entfernt und doch weit weg.
In den Abendstunden kommen wir in den Ort Ararat, wenige Kilometer vom gleichnamigen Berg entfernt, der jedoch vollkommen unerreichbar ist. Laut der Caravanistan Webseite ist der Grenzübergang „closed. Very, very closed.“. Ein Stück südlich gilt das Gleiche für die Grenze nach Nachitschewan, der aserbaidschanischen Exklave zwischen Armenien, der Türkei und dem Iran. Auch uns bleibt nichts übrig, als in dem staubigen Nest am Dreiländereck eine erzwungene Linkskurve zu machen und den beschwerlichen Weg durch die Berge anzutreten statt dem Tal weiter Richtung Iran zu folgen. Der Ort hat etwas vom Wilden Westen, es ist auch abends um 9 noch heiß und wir trinken noch kurz einen Tee an einer der verlorenen Truckerbuden am Wegesrand und machen uns auf die Schlafplatzsuche. Die Straße geht bergauf, neben uns in Richtung aserbaidschanischer Grenze ist ein militärischer Schutzwall und wir biegen immer wieder in die kleinen Feldwege ein, auf der Suche nach einem ebenen Platz ohne Dornen mit ein wenig Sichtschutz. Gruselig wir es, als wir plötzlich den ekelhaft süßlichen Geruch verwesenden Fleisches in der Nase haben. Neben dem Weg liegt ein Plastiksack mit undefinierbaren – hoffentlich – tierischen Überresten. Nein, hier wollen wir auch nicht schlafen. Schließlich werden wir aber fündig, bauen im blassen Licht des Mondes das Zelt auf mit Blick auf den Ararat, der unwirklich und fern unter dem Nachthimmel liegt.
Militärische Anlage an der Grenze zu Nachitschewan
Morgens brechen wir zeitig auf, um nicht in die schlimmste Hitze des Tages zu kommen. Auf dem Tomatenfeld neben unserem Zeltplatz beginnen ein paar Leute ebenfalls früh mit der Arbeit, entfernen Unkraut und graben mit einfachen Werkzeugen den staubigen Boden um. Wir unterhalten uns kurz und fröhlich und fahren los. Richtig kühl wurde es auch nachts nicht und die Morgensonne hat bereits eine Kraft, wie zu Hause oft am Mittag nicht. Ein kleines Dorf liegt still und verträumt in der steinigen, dürren Landschaft und wir fahren hinein auf der Suche nach einem Laden, der uns etwas Essbares zum Frühstück verkaufen kann. Wie es der Zufall will, holen uns die Arbeiter vom Feld heute morgen ein und laden uns – wieder mal – spontan zum Essen ein.
Wir sitzen im kühlen grünen Licht der Weinlaube, essen Fladenbrot, Käse und Tomaten und ratschen. Anschließend gehen wir in´s Haus und sind echt überrascht, wie gut die Familie eingerichtet ist. Sie erklären, dass sie momentan wenig Geld haben und vom Eigenanbau leben. Sobald jedoch die Tomaten, der Wein und das Obst reif sind, können sie wieder verkaufen und Einnahmen erzielen. Die Menschen sind fröhlich, zufrieden und es scheint ein tiefes Vertrauen in den guten Lauf der Welt zu geben.
Anschließend geht es wieder hinaus auf die staubigen Dorfstraßen, in die Hitze und die Anstrengung. Langsam schrauben wir uns Kurve um Kurve hinauf und es wird durch die Höhe langsam etwas erträglicher. Im Abendlicht erreichen wir die nächste Passhöhe und finden einen herrlichen Zeltplatz oberhalb der Straße. Wir sitzen auf Heuballen im Licht des Vollmonds und trinken Granatapfelwein. Der nächste Morgen empfängt uns mit Sonnenschein, angenehm kühler Höhenluft und einer Armada an Ohrenkneifern. Anscheinend haben wir auf einem Nest der Tiere übernachtet. Wir durchkämmen die Taschen im Vorzelt, die Taschen auf dem Trike und werden immer wieder fündig. Wie bei Kindern kommt natürlich auch das Gespräch gleich darauf, dass die Ohrenkneifer in die Ohren krabbeln und dort Unfug treiben. Daria und ihre Freundinnen haben sich im Pfadfinderlager nachts Watte in die Ohren gesteckt, um geschützt zu sein. Ja, ja. Drei Hornissenstiche töten einen Menschen, sieben ein Pferd.
Die weitere Fahrt führt und durch das Weinbaugebiet Armeniens, wir probieren interessante Tropfen aus autochthonen Reben, besuchen eines der berühmten Klöster und fahren weiter und weiter durch das grüne Tal der Arpa. Die seitlichen Hänge liegen ausgedörrt in der flirrenden Hitze und wir sind froh um jedes bisschen Schatten, das sich uns bietet, sei es ein Baum, ein Felsvorsprung oder ein Vordach. Selbst kurze Stopps um nach dem Weg zu schauen, finden möglichst nicht in praller Sonne statt. Direkt neben uns fließt kühl glitzernd der Fluss und lädt uns zart lockend zum Bade ein. Irgendwann geben wir nach und springen wie wir sind ins Wasser; fast meint man, es würde beim Eintauchen zischen. Ein paar Meter weiter hat sich eine Familie zum Picknick niedergelassen und wie wir tropfnass und herrlich erfrischt wieder draußen sind, kommt ein Mann mit ein paar Leckereien zu uns herüber. Wir wollen die nicht für uns alleine verspeisen, sondern gesellen uns dazu. Da wird dann aufgetischt: Hähnchen, Salat, Kuchen, was das Herz begehrt. Doch damit nicht genug: auch für den weiteren Weg geben sie uns Verpflegung mit.
Mittelalterliche Kunst aus armenischen Klöstern
Die weitere Strecke Richtung Goris führt über den Vorotan Pass und bereits auf dem armenischen Teil der alten Seidenstraße. Hinter der Passhöhe halten wir zum Frühstück an und das einzige was es gibt sind etwas lieblos mit Industriewurst belegte Sandwiches. Bei der Weiterfahrt verlassen mich rapide die Kräfte und wir machen Pause, geschützt von der Sonne unter dem Tarp, das wir zwischen die Trikes gespannt haben. Anfangs fühle ich mich nur müde, doch es wird rapide schlechter. Erst sitze ich noch, dann liege ich auf der Matte und irgendwann wird selbst das Liegen zur Qual, als sei alle Energie aus dem Körper entwichen. Bald kommt Übelkeit hinzu und es kommt mir in den Sinn: die Sandwiches! Die Antwort auf den Gedanken kommt auch kurz darauf, oral, wenn auch nicht verbal. Langsam wird es mit schwarzem Tee, Salzstangen und Ausruhen besser, dann ist es bei Daria soweit mit Schwäche und Durchfall. Es hilft alles nichts. Wir müssen hierbleiben und uns auskurieren. Zum Glück ist es ein atemberaubend schöner Platz am See, mitten in den blühenden Hochlandwiesen. Goris erreichen wir tags darauf spät nachts, quartieren uns in einem alten, spartanischen, dafür jedoch ruhigen Airbnb ein, lassen ein paar Dinge reparieren und ruhen uns in erster Linie aus, bevor es in Richtung der südlichen Berge Armeniens geht. Nett ist, dass wir Mareike und Jurjen wieder treffen, mit denen wir bereits in Yerevan die Unterkunft geteilt haben.
Der armenische Teil der Seidenstraße
Die nächsten Pässe kommen sicher
Im Garten der Unterkunft wird Schnaps gebrannt
Erholt brechen wir schließlich wieder auf in Richtung der südlichen Berge und Nationalparks Armeniens. Hier gibt es genau zwei Zustände der Straßen: steil bergauf oder steil bergab. Wir tauchen ein in glühend heiße Täler, kämpfen uns wieder Serpentine um Serpentine empor, um wieder in das nächste Tal zu rollen, den harten metallischen Klang der Grillen im Ohr, die heiße Luft auf der Haut und den Blick in der Landschaft, die von der Hitze erschöpft in der Mittagssonne zu schlafen scheint. Die Straßen sind erst noch mäßig befahren, doch als wir die Stadt Kapan auf der Grenzstraße zu Bergkarabach hinter uns lassen, wird es still. Unmerklich erst, doch immer mehr wird es auch wieder grüner, üppiger und weniger heiß. Es geht im Wechsel bergauf und bergab, wir machen an Trinkwasserquellen über die Mittagszeit Pause und sind die meiste Zeit alleine unterwegs. Eine interessante Begegnung gibt es mitten im Nichts als ein Bus neben uns anhält an und ein Mann uns auf Deutsch anspricht. Sie machen Entwicklungshilfe und haben ein Fernsehteam dabei, das uns sofort auch filmt und interviewt.
Wir fahren in der Abendddämmerung in fremd duftende Täler hinab, berauschen uns in finsterster Nacht an der Sternenpracht, halten in gottverlassenen Dörfern an, um ein paar Eier zu kaufen und fahren schließlich am Abend hinauf zum letzten Pass vor der iranischen Grenze. Die Luft ist klar und kühl, die späte Sonne schickt ihre Strahlen durch das dichte Grün der Bäume und es liegt der zarte Klang des Sommers über dem Land.
Im Dorf kommen uns die Schweine entgegen
Auf der Passhöhe ist es kalt und windig, die Sonne steht schon tief und wir fahren die letzten Meter heraus aus der grünen Pracht, die sich wie eine Grenze bis fast auf die Passhöhe erstreckt. Vor uns liegen im letzten Licht des Tages, in heller werdenden Schattierungen von Blau die kargen Berge Irans.