Seite wählen
Die Nacht auf gut 2000 Metern Höhe ist kühl und luftig und wir schlafen wie die Murmeltiere. Am Morgen darauf lacht die Sonne und weiße Schönwetterwolken treiben fröhlich über den tiefblauen Himmel. Wir lassen uns Zeit mit dem Aufstehen, Zeit mit dem Frühstück und auch beim Herumtrödeln beeilen wir uns nicht.

Strahlender Morgen


Frühstück!


Transport auf Georgisch

Der Kontakt mit den Wirtsleuten ist auch heute wieder nett und wir tauschen uns auf Polnorussinglish erstaunlich gut aus. Sie würden gerne das aus einfachen Brettern gezimmerte Wirtshaus durch ein Steinhaus ersetzen, um auch im Winter den Betrieb fortführen zu können. Doch leider gibt ihnen die Bank keinen Kredit oder zumindest keinen zu vertretbaren Konditionen. So machen sie es wie viele in der Region und bauen je nach Kassenlage Stück für Stück ein wenig dazu. Ein interessantes Phänomen ist der Hund, der vor dem Haus Wache hält. Er erkennt – fragt mich nicht wie – mit 100% Zuverlässigkeit Touristen, die er schwanzwedelnd begrüßt und mit ebenfalls 100% erkennt er Einheimische, die er zähnefletschend verbellt.

Herzlicher Kontakt


Mit den Wirtsleuten auf dem Goderdzipass

Schließlich brechen wir auf, die Vorfreude auf eine spektakuläre Abfahrt im Bauch. Die Straße hat sich nicht groß verändert, unsere Wahrnehmung der Straße aber komplett, schließlich geht es bergab und eine ruppige Piste ohne zu treten ist halt was anderes. Im ersten Dorf an der Strecke halten wir an, um die pittoresken Holzhäuser zu filmen, die locker verteilt am Berghang stehen.

Dorf am Weg ins Tal

Eine ältere Frau kommt auf uns zu mit etwas in der Hand, das wie ein Stück dünnes Leder aussieht. Wir packen wieder alles aus, was uns an sprachlichen Fertigkeiten zur Verfügung steht, doch diesmal kommen wir nicht weiter. Die gute Frau spricht nur Georgisch. Wir können weder mit ihren Worten, noch mit ihren Gesten, noch mit ihrem Stück Leder etwas anfangen. Sichtlich enttäuscht geht sie wieder. Daria lässt es einfach nicht los und wir gehen ihr nochmal hinterher. Sie bittet uns ihr Haus, neugierig ziehen wir die Schuhe aus und treten über die Türschwelle. Innen ist es liebevoll eingerichtet, fast alles ist aus Holz, ein Ofen verströmt wohlige Wärme und irgendwie erscheint es richtig, die Begegnung nicht mit Unverständnis hier und Enttäuschung dort enden zu lassen. Die Tochter ist da und mit Hilfe von Geduld, einem Kauderwelschband Georgisch, den ich aus der Radltasche gekramt habe und weiterem Gestikulieren kommen wir einer Konversation näher. Das was wir für Leder gehalten hatten, ist in Wahrheit eine Leckerei, die aus Äpfeln hergestellt wird. Diese werden gerieben, sehr dünn in einem großen Topf ausgelegt und anschließend getrocknet. Das Resultat schmeckt lecker und wir kaufen den beiden ein großes „Leder“stück ab und bekommen ein zweites als Geschenk dazu. Es lohnt sich manchmal einfach, nicht so schnell aufzugeben.

Kein Leder – Apfel!

Die weitere Fahrt führt durch prachtvolle, kanadisch anmutende Landschaft und das Wetter meint es wirklich gut mit uns. Wir durchqueren mehr oder weniger heikel einige Bachläufe, lassen es auf besseren Passagen schneller laufen und zirkeln dann wieder von links nach rechts in die Mitte und zurück, wenn die Straße wieder mehr der Kategorie „Hier war mal Asphalt“ entspricht. Alles in allem macht die Fahrt nach unten richtig Spaß. Bei einer kurzen Pause mit Khachapuri (Georgische Spezialität: mit würzigem Käse überbackenes Brot) kommt ein einsam streunender Hund des Weges. Er ist freundlich interessiert an uns, bellt nicht und hält einen angemessenen Abstand. Er bekommt von uns ein paar alte Brotreste und das motiviert ihn, uns auf der weiteren Fahrt wie ein treuer langjähriger Freund Kilometer um Kilometer zu folgen. Mal läuft er ein Stück voraus und blickt immer wieder kurz zurück, ob wir noch da sind, mal ist er hinten dran, wenn wir schneller bergab fahren, holt uns aber mit zäher Ausdauer immer wieder ein.

Idyll am Abend


Netter Begleiter …

… über viele Kilometer

Weiter unten macht sich unsere weiche Ader („Sie putzen streunenden Hunden die Zähne!“) dann aber auf erstaunliche Art bezahlt. Ich lasse mir für ein paar Fotos etwas Zeit und Daria fährt voraus. Als ich sie schließlich einhole, sehe ich sie umringt von breitschultrigen, beleibten Machos mit Sonnenbrillen. Ein SUV mit russischem Kennzeichen steht daneben, unser Hund ist in der Nähe und beobachtet wachsam die Szenerie. Daria erzählt mir später, die Männer hätten gefragt, ob sie denn alleine unterwegs sei, seien sichtlich angetrunken gewesen und die Anwesenheit des Hundes hätte aber doch eine abschreckende Wirkung gehabt. Wir halten uns nicht mehr lange auf – auch ich empfinde die Leute als unangenehme, aufgeblasene Wichtigtuer – und fahren weiter in das abendliche Tal hinein, immer noch in vierbeiniger Begleitung, bis wir eine kleine, einfache Unterkunft finden.

Endlose Blumenfelder


Blütenpracht

Am nächsten Tag geht es weiter durch die wunderschöne kaukasische Natur entlang blühender Wiesen, mit Blick auf den Fluss und in durchwachsenem Wetter. Als es gerade wieder eintrübt und wir überlegen, ob es sich lohnt, die Regenkleidung anzuziehen, kommen uns zwei Motorradfahrer entgegen, die Hand zum Gruß erhoben. Wir staunen nicht schlecht, als sie anhalten und wir Martin und Norbert von der Fähre wiedertreffen. Die Freude ist groß und wir tauschen Erlebnisse, Erfahrungen und Tipps aus den letzten Tagen aus zu Strecken, guten Restaurants, Abwehr von Straßenhunden und Plätzen in Georgien und Armenien, die man unbedingt gesehen haben muss. Wir fahren noch einige Kilometer durch eine Schlucht, die Erinnerungen an den amerikanischen Südwesten aufkommen lässt und finden einen wunderbaren Zeltplatz oberhalb der Straße.

Unerwartetes Wiedersehen


Zeltplatz in der grünen Schlucht

Die nächsten Tage geht es weiter Richtung Ninotsminda, einer kleinen Stadt im georgischen Hochland nahe der armenischen Grenze. Unterwegs kommen wir mit einem jungen Mann namens Zurab ins Gespräch, der georgischer Staatsbürger, aber ethnischer Armenier ist. Er spricht perfekt Deutsch mit bayerischem Einschlag  – er hat in München studiert – und bietet uns freundlich seine Hilfe an, was auch immer kommen möge. Spontan fällt uns nichts ein, aber einige Kilometer weiter treffen wir ihn wieder und fragen nach einer Möglichkeit, unsere Trikes für ein paar Tage zu deponieren, um wegen der anstehenden Iranvisa von Ninotsminda nach Tbilisi mit dem Bus zu fahren. Er fragt in seinem Freundeskreis herum und wir haben kurze Zeit später eine Bleibe für die Nacht für uns und ein Zuhause für unsere treuen Gefährte gefunden.

Wir machen einen Zwischenstop in Achalkalaki im georgischen Hochland. Dort in der Nähe liegt eine kulturelle Sensation: das Höhlenkloster von Vardzia aus dem 12. Jahrhundert, ein Kandidat für das Unesco Welterbe. In einer 500 Meter hohen, steil aufragenden Felswand ließ der georgische König Giorgi III eine Festung errichten. Ein ausgeklügeltes System aus großen und kleinen Höhlen gab Wohnraum für bis zu 50.000 Menschen mit eigener Wasserversorgung, Verteidigungsanlagen gegen die Heere der Türken und Perser, prachtvolle Versammlungshallen, enge Verbindungsgänge und großzügige Terrassen. Wir fahren mit dem Taxi dorthin und bekommen unfreiwillig den Beweis, dass manche Georgier wirklich extrem Auto fahren. Nicht nur einmal muss ich bei riskanten Überholmanövern in der Außenkurve die Luft anhalten, die Augen schließen, den Fahrer mit bösen Worten schimpfen und darauf achten, eine trockene Hose zu behalten. Zum Glück geht alles gut…

Auf der Fahrt nach Vardzia


Das Höhlenkloster von Vardzia

Tiefblick


Malereien im Inneren

Eine interessante Begegnung mit kreativen Handwerkern gibt es noch. Wir treffen in einer kleinen Straße von Achalkalaki Karl aus den USA, der mit dem Fahrrad auf großer Reise ist und vor einem kleinen Laden beobachtet, wie sich jemand an seinem Tretlager zu schaffen macht. Sein Gesichtsausdruck wandelt sich langsam von leichter Skepsis hin zu schwarzem Pessimismus, dass das noch etwas wird. Der Kollege hat alles auseinandergebaut, doch die Kugeln, die er austauschen wollte, haben die falsche Größe. Kurzerhand zerschlägt er mit roher Gewalt die Schaltkassette eines alten Fahrrads, entnimmt die Kugeln und setzt sie in Karls Tretlager ein. Und plötzlich hellt sich Karls Miene auf und er testet mit breitem Lächeln sein erstaunlicherweise nicht zerstörtes, sondern wieder voll funktionsfähiges Reiserad. Ein Lehrstück in Vertrauen!

Oh Mann, was tut ihr da ….

… aber doch …

… alles OK!!!

Die abendliche Fahrt nach Ninotsminda ist dann noch ein Abenteuer, das man sich nicht wünscht. Erst bewundern wir die rote Sonne, die hinter schaurig grauen Regenwolken gegen den Horizont sinkt und denken uns nicht viel dabei. Doch nach und nach kommen diese Regenwolken hinter uns her, als hätten sie die Absicht, uns zu verfolgen. Es beginnt zu donnern und von zwei Seiten hinter uns kommen Gewitter bedrohlich nahe. Wir sind auf über zweitausend Metern Höhe auf einer baumlosen, gnadenlos flachen Hochebene ohne Häuser, Wald oder Senken, die uns schützen könnten. Wir treten in die Pedale, das Adrenalin verleiht uns ungeahnte Kräfte und haben Glück: mit den ersten Regentropfen erreichen wir die Stadt und die Zentren der Gewitter ziehen an uns vorbei. Bald sind wir auch bei unseren Gastgebern, parken die Trikes im Garten und sind froh, ein Dach über dem Kopf zu haben.

Nächtliche Fahrt nach Ninotsminda…


…auf der Flucht vor dem Gewitter

Hier warten unsere Trikes, bis wir wieder da sind…

… und haben eine schöne Aussicht!

Die nächsten Tage verbringen wir in Tibilisi in einer schönen Airbnb Unterkunft im Herzen der Altstadt. Die Stadt ist uralt, hypermodern, chaotisch und freundlich entspannt. Wir besichtigen alte orthodoxe Kirchen, besuchen eine moderne Tanzperformance, lassen uns durch die Stadt treiben und sind froh, nach vielen Wochen unterwegs so etwas wie sesshaft zu sein.

Blick von der Freiheitsbrücke


Typisches Haus der Altstadt

Die Altstadt steht komplett unter Denkmalschutz


Ein kleiner Freund, der uns jeden Tag besucht

Mal die Beine hochlegen


Schaafschur

Moderne Tanzkunst


Am Heimweg

Neonlicht


Tbilisi bei Nacht 1

Tbilisi bei Nacht 2