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Georgien! Tausende Jahre Kulturgeschichte, mindestens 1500 Jahre Christentum und ein Land, das sich allen Definitionen von Orient und Okzident elegant entzieht.

Wir sind ABC-Schüler

Nicht nur die Sprache hat sich wieder einmal geändert, nein auch die Schrift ist ein Rätsel, wenn auch ein echt hübsch gestaltetes. Das georgische Alphabet geht – je nachdem, wen man fragt – bis in das dritte Jahrhundert vor Christus zurück. Unsere erste Begegnung mit den neuen Buchstaben ist die Aufschrift პოლიცია auf einem Polizeiwagen. Die Zahl der Buchstaben in Kombination mit dem Ort lässt gibt uns einen ersten Hinweis auf die Bedeutung der einzelnen Zeichen. Die Kollegen kontrollieren nochmals kurz die Stempel in unseren Pässen und wir rollen hinaus aus dem Bauch des Schiffes.

Ein paar hundert Meter weiter kommen wir an der Kaimauer an die Touristeninformation. Mehrere sehr nette Angestellte sind uns in perfektem Englisch behilflich, den Weg zu unserer Airbnb Unterkunft zu finden. Anfangs heißt es, das WLAN der Touristeninfo dürfe nicht rausgegeben werden, doch nach einer Weile werden ein paar Augen zugedrückt. Gemeinschaftlich bekommen wir die genaue Adresse heraus und gewappnet mit guten Wünschen tauchen wir in das fröhlich-chaotische Verkehrsgewimmel von Batumi ein. Die Fahrt führt uns in die nördlichen Vororte der Stadt und nach zwei-, dreimal Nachfragen finden wir David´s Guesthouse, in dem wir ein kleines Zimmer beziehen. Das Zimmer selbst ist kaum erwähnenswert, anders der Blick vom Esstisch im Gang auf das Schwarze Meer, das sich glitzernd vor uns ausbreitet.

Nach dem Auspacken gehen wir erstmal in der Nähe eine Kleinigkeit essen und bekommen gleich mal eine Kostprobe des Gerüchts, dass Georgien „von Musik erfüllt“ sei. Aus den Lautsprechern ertönen nicht nur die wildromantischen Weisen des Kaukasus, sondern auch mal ein Modern Talking Medley: Cherie Cherie Lady – You’re my heart, you’re my soul – you can win if you want… Einerlei – das Essen ist lecker, die Chefin des kleinen Restaurants lustig und nett und irgendwie passt es zur Gesamtsituation.

Wir legen drei wohlverdiente Pausentage ein, vertrödeln einen Schlechtwettertag, lassen flache Kieselsteine über die Wellen springen und besuchen den unglaublich schönen botanischen Garten von Batumi. Auf mehr als 100 Hektar Fläche direkt am Meer sehen wir japanische Gärten, nordamerikanische Nadelbäume, Rhododendrenwälder aus dem Himalaya, Flora aus dem Mittelmeerraum, Ostasien und Australien und können uns kaum satt sehen an den spektakulären Ausblicken durch die grüne Pflanzenpracht hinaus auf das offene Meer.

Ein Tag am Meer

In Batumi unterwegs

Blick auf Batumi aus unserem Fenster

Blütenpracht!

Bambus im japanischen Teil

Grün!

Blick auf´s Meer vom Botanischen Garten

Und wieder Blick auf´s Meer

Unsere Überlegung für die weitere Route geht ein paar mal hin und her. Einerseits wäre das Tal zwischen großem und kleinem Kaukasus eine einfach zu bewältigende Strecke in Richtung der Hauptstadt, andererseits wären die südlichen Berge eine spannende Herausforderung. Wir entscheiden uns für die Berge und radeln die wenigen Kilometer zurück nach Batumi, wo wir am Straßenrand einen der Passagiere der „Vilnius“ wiedertreffen, der immer mit uns am Tisch saß.

Der Weg hinaus aus der Stadt führt vorbei an Autowerkstätten, kaum, halb und ganz fertig gestellten Häusern, Obst- und Gemüseständen. Kinder radeln mit neugierigen Gesichtern neben und her und nach kurzer Zeit werden wir zu einem der Stände herbeigerufen: Arbusa! Melone gibt es und wir werden wieder mal eingeladen. Die Früchte sind saftig und süß, passend zu den Menschen, die uns wieder sehr warmherzig und freundlich begegnen.

Am Straßenrand gibt´s Melone

Hinter der Stadt wird es ruhiger und und wir fahren durch feuchte, grüne und dicht bewachsene Täler, nur ein paar Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. Als es zu dämmern beginnt, kommen wir an einem Restaurant vorbei, vor dem eine feuchtfröhliche Männerrunde bei Essen, Wein und Gesang sitzt. Sie rufen uns und wir erhören das Rufen. Einer der Freunde spielt richtig schön Gitarre und gibt Klassiker wie georgische Weisen gleichermaßen virtuos zum Besten. Von einer Eigenheit der Georgier hatte ich im Vorfeld schon gehört: an jeder Tafel, an der sich Freunde oder Familie treffen, gibt es den Tamada, den Tischführer. So auch hier: Der Tamada bringt Trinksprüche aus auf die Familie, die Freundschaft, die Natur Georgiens und sorgt für das leibliche und seelische Wohl der Gäste. Auch ich schließe mich an und wir trinken auf die Gastfreundschaft. Eingeladen wurden wir von einem selbstbewussten Mann, der – wie er mir mehrfach erzählt – Technischer Leiter bei Siemens ist und auch noch sonstige Geschäfte nach eigenen Angaben äußerst erfolgreich betreibt. Das Essen ist wundervoll, unsere Gastgeber sehr aufmerksam und nur beim Tanzen muss sich Daria gegen einen allzu stürmischen Kollegen zur Wehr setzen. Es ist mittlerweile dunkel geworden und wir fragen, ob sie hier eine Übernachtungsmöglichkeit kennen und in der Tat gibt es die nur ein paar hundert Meter weiter in einem Privathaus, wo wir für wenig Geld ein ganzes Appartement für uns haben.

Spontane Einladung zu Essen & Wein

Morgens gibt es leckeres Frühstück mit selbstgemachtem Honig, Käse und Brot und bald geht´s los, immer weiter in das Tal hinein. Es geht kontinuierlich bergauf und langsam, langsam ändert sich die Vegetation von fast tropisch anmutendem Wald in der Nähe des Schwarzen Meeres hin zu mehr Nadelbäumen und einer Landschaft fast wie in den Alpen.

Am Morgen kommt die ganze Familie für´s Foto

Hinein in´s Grün!

Eine weitere Nacht verbringen wir direkt am Fluss auf einer perfekten Wiese und am darauffolgenden Tag nähern wir uns Chulo, einem kleinen verstaubten Provinznest. Eine Frau empfiehlt uns eine Kneipe am Straßenrand und in der Tat gibt es hier eine spannende Begegnung mit georgischem Essen: da wir nichts, aber auch gar nichts auf der Karte verstehen, die Bilder der Speisen am Eingang ausgeblichen sind und auch die Übersetzungsversuche der Einheimischen scheitern (Eigennamen sind auch übersetzt Eigennamen), bestellen wir auf gut Glück Chinkali und Susuni (wenn ich´s richtig in Erinnerung habe). Ersteres sind Teigtaschen mit einer scharf-würzigen Fleischfüllung, ähnlich großer Tortellini. Das zweite Gericht besteht aus einer Art Strudelteig, der in mehreren Schichten mit Frischkäse, Olivenöl und jeder Menge Knoblauch gefüllt ist und in der Pfanne gebraten wird. Wie so oft hier, bekommen wir wieder etwas geschenkt, diesmal ist es ein Kaffee zum Abschluss.

Abends am Fluss

Tankstelle für Gas

Brotzeit!

In Chulo angekommen

Menü nicht verstanden? Einfach bestellen!

Bislang war die Straße passabel und es ging mit wenigen Ausnahmen stetig bergauf. Wir hatten uns schon gefreut, 900 der 2100 Höhenmeter bereits zügig geschafft zu haben. Doch weit gefehlt. Hinter Chulo geht es auf Schotterpiste bergab, sodass wir wieder 200 Höhenmeter hergeben müssen. Das was dann aber folgt, ist mit dem Begriff „Straße“ schlecht beschrieben. Zum Verständnis gibt es jetzt erstmal einen kleinen Exkurs in persönlich erfahrener Asphaltkunde. Grob, aber mit wissenschaftlicher Präzision, lässt sich Asphalt in folgende Kategorien einteilen:

  • Meister der Perfektion: das ist die Kategorie, die nur dem österreichischen Donauradweg vorbehalten ist – flach, glatt und mit eingebautem Rückenwind. Wo gibt´s den? s.o.
  • Schwarze Dünung: diese Kategorie beschreibt alten Asphalt, der sich in Jahren heißer Sonne und tonnenschweren Lastern zu Wellen aufgeschaukelt hat – glatt, sanft wogend und manchmal heimtückisch. Wo gibt´s den? z.B. in der Ukraine Richtung Odessa.
  • Rauher Gesell: auch er ist schon in die Jahre gekommen, Wind und Wetter haben sein Antlitz gegerbt und aus der ehemals glatt rasierten Gesichtshaut ist ein Feld steiniger Bartstoppeln geworden – rauhe Oberfläche, kräftezehrendes, aber stetiges Fortkommen. Wo gibt´s den? z.B. in der Anfahrt auf Chisinau in Moldawien.
  • Zerrissener Charakter: hier ist von allem was dabei – Schlaglöcher, Risse, glatte Passagen, die unbegründet Hoffnung schöpfen lassen, Rüttelpassagen, die manchmal Zickzackkurs erfordern. Wo gibt´s den? z.B. in Ungarn hinter Budapest.
  • Hier war mal Asphalt: die Straße besteht aus faustgroßen Steinen, badewannentiefen Löchern, schrägen Rampen und Wasserrinnen, doch manchmal kommen völlig unerklärlich wie aus dem Nichts einige Meter Asphalt, so zwischen Rauher Gesell und Zerrissener Charakter. Wo gibt´s den? Am Goderdzi Pass, was – wie wir jetzt von einem Einheimischen erfahren – noch 48 Kilometer so bleiben wird.

Die folgenden Minuten sind klassisch für den Umgang mit unangenehmen Nachrichten. Nach einer Phase der Leugnung („Den haben wir auf Russisch bestimmt falsch verstanden“), kommt eine Phase der Resignation („Boah, 48 Kilometer, nie im Leben!“) und eine der Akzeptanz („Da müssen wir jetzt durch, denn die Alternative ist zurückfahren.“). Also packen wir´s an und schlagen die Angebote zweier Lastwagenfahrer, uns mitzunehmen, aus. Stunde um Stunde geht es nun gegen die Widerstände des Untergrunds, gegen die Steigung, gegen den Staub und gegen das Wasser. Das Wasser? Ja genau, teilweise sind Stellen überflutet, wir fahren durch Schlammlöcher, durchqueren Bachläufe und sind froh, dass diese nicht so tief sind, dass wir mit dem Hintern im Wasser sitzen. Viel fehlt aber nicht.

Wegbereitung

Durch den Morast

Abends wird einmal die Straße so schräg, dass Darias Trike kippt. Glücklicherweise kommt kein Auto und auch so ist nicht viel passiert, doch einen ordentlichen Schrecken jagt es uns ein. Gleich in der Nähe ist ein Haus und wir fragen nach einer Stelle zum Übernachten. Die Besitzer des Hauses haben direkt neben der Straße mit einer Unmenge an Steinen und Kies den steilen Hängen ein künstliches Grundstück abgetrotzt, wo wir jetzt unser Zelt aufstellen. Die Leute sind nett und hilfsbereit, aber sie haben eine andere Vorstellung von Distanz als wir. Der Sohn setzt sich einfach in mein Trike und fährt ungefragt eine Runde, der Vater setzt sich ohne zu fragen in´s Vorzelt. Uns ist das nach einem anstrengenden Tag einfach etwas zu viel des Guten und wir versuchen deutlich zu machen, dass wir jetzt unsere Ruhe brauchen. Diese kehrt dann schließlich auch ein und wir schlafen früh ein, um am nächsten Morgen die Passhöhe in Angriff zu nehmen.

Zeltplatz auf dem Neuland

Was die Strapazen erträglicher macht, ist jedoch die Landschaft. Wir erheben uns weit über die subtropischen Niederungen, kommen durch kleine Dörfer und an einsamen Weilern vorbei, weiter oben gibt es weitläufige Almen und auf den höheren Bergen liegen noch Reste von Schnee. Toll sind die kleinen Läden am Straßenrand, bei denen man fast alles bekommt: eine Mischung aus Supermarkt, Drogerie, Apotheke, Café und Baumarkt. Wir halten zum Frühstück an und verständigen uns ganz einfach, indem wir hinter die Theke gebeten werden und die Dinge herausnehmen, die wir brauchen.

Idyll am Wegesrand

Es wird alpenländischer – bis auf die Moschee

Anhalten zum Frühstück

Rechenkeks

Ausblick beim Frühstück

Beim Einkaufen

Steil und ruppig geht es die letzten Meter hinauf und im Dämmerlicht erreichen wir den Goderdzi-Pass: müde, hungrig und stolz. Oben gibt es eine kleine Wirtschaft, neben der wir als erstes unser Zelt aufbauen. Die Wirtin ist lustigerweise die gleiche Frau, die uns das Essen in Chulo empfohlen hatte. Sie empfängt uns mit einem strahlenden Lächeln und großer Herzenswärme und ehe wir lange hin und her übersetzen führt sie uns kurzerhand in die Küche, wo drei verschiedene Gerichte in großen Töpfen auf uns warten. Jetzt ist nicht die Zeit für Überlegung und Entscheidung und so nehmen wir einfach alle drei und ein großes Bier dazu. Es schmeckt hervorragend, die Anspannung fällt von uns ab und eine wohlige Behaglichkeit macht sich in den müden Knochen breit. Einfach dasitzen, essen, trinken und dann nur ein paar Meter durch die dunkle Nacht in´s Zelt. Der Wind rauscht, leise trommelt der Regen auf´s Zeltdach und der Schlaf lässt nicht lange auf sich warten.

Langsam wird es Abend

Endlich oben!

Zelten auf der Passhöhe

Feierabend!