Unser erster Schlafplatz in Moldawien hat was. Eine kleine Abzweigung neben der Landstraße ist von großen Nussbäumen gesäumt, deren üppig belaubten Äste und Zweige bis fast an den Boden hinabreichen. Wir parken die Trikes im Schutze einer dieser Baumkronen, tarnen sie mit dem dunkelgrünen Tarp und stellen das ebenfalls grüne Zelt direkt daneben auf. Von der Straße aus sind wir so gut wie unsichtbar.
Am nächsten Tag zeigt sich, dass die vorschnelle, oberflächliche Einschätzung „Ab den Karpaten geht´s nur noch bergab bis an´s Schwarze Meer“ grundfalsch ist. Moldawien ist landschaftlich wunderschön, aber eben so gar nicht flach. Wir haben nur noch ein paar getrocknete Feigen zum Frühstück und der Tag beginnt mit einigen saftigen Anstiegen. Aber egal: nach den Karpatenpässen kann uns so schnell nichts mehr schocken.
Das Land liegt still unter einem endlosen blauen Himmel und nur von Zeit zu Zeit kommt ein Auto an uns vorbei, oft noch aus sowjetischer Produktion. Im Schatten der Bäume sitzen Landarbeiter bei der Pause, die erste Tankstelle ist stillgelegt und verlassen, nur das Schild Magazin weist darauf hin, dass wir früher dort etwas zu kaufen gab.
Im ersten Ort halten wir am ersten Laden am Straßenrand an und freuen uns, dass wir etwas zum Frühstück kaufen können. Wir setzen uns unter dem Vordach in den Schatten und betrachten erstaunt, wie gemächlich und verschlafen hier alles abläuft. Rumänien scheint uns im Vergleich wild, bunt und laut während hier alles wie im postsozialistischen Dornröschenschlaf wirkt. Vor dem Laden stehen junge und alte Menschen an der Straße und warten. Nach einiger Zeit wird uns klar, dass sie auf private Autos warten, die gegen Entgelt weitere Passagiere mitnehmen, in Ermangelung eines funktionierenden öffentlichen Nahverkehrs.
Unser nächstes Ziel ist Chisinau, die Hauptstadt der Republik Moldau, wie das Land offiziell heißt. Dort hat Julia aus Satu Mare für uns eine Unterkunft in der Mission der polnischen katholischen Kirche organisiert. Der Weg dorthin durch Weinberge und Eichenwälder ist schön, aber lang. Wir haben an Tankstellen immer wieder Internet und können so mit unseren nächsten Gastgebern in Kontakt bleiben, nachdem Moldawien beim Roaming unter „Welt, sonstige“ läuft, sprich Telefonieren die Reisekasse übel strapazieren würde. Spät abends kommen wir müde, aber in der Gewissheit eines guten Schlafplatzes in Chisinau an. In der Stadt geht es nur, aber auch wirklich nur bergab, so als sei alles auf einer schiefen Ebene gebaut worden. Die Navigationsapp schickt uns abenteuerlich durch winzige dunkle Gassen und mehr als einmal zweifeln wir, auch tatsächlich am richtigen Ort anzukommen, doch irgendwann sind wir da.
Stefania und Emilia empfangen uns in ihrer Wohnung und es ist wie in Polen nach Hause zu kommen. Trotz der späten Stunde gibt es Berge zu essen, alles ist tiptop für uns vorbereitet und einfach nur schön. Wie bei Julia ist der Auslöser für einen weiteren Ruhetag die Herzlichkeit, mit der wir aufgenommen wurden. Wir verbringen einen entspannten Tag in Chisinau hauptsächlich am Markt, wo es viel buntes Treiben der Händler, leckere kleine Snacks und tausender nützlicher wie unnützer Produkte gibt. Es gibt auch echt Neues zu probieren: Vitali verkauft auf dem Markt sauer eingelegte Melonen; man glaubt´s nicht, aber echt lecker. Spannend war der Besuch in einem Haus, in dem es lauter kleine Läden gibt, wo man alle erdenklichen Sachen reparieren lassen kann. Da die Schraube von meinem Kameramikrofon klemmt, gehen wir in einen dieser Läden rein und mit dem Fingerspitzengefühl und Geschick des Spezialisten funktioniert gleich wieder alles einwandfrei. Ich finde das wäre auch bei uns eine gute Idee, anstatt Dinge immer durch neue zu ersetzen in Ermangelung an Ideen, Talent und Geschick beim Reparieren.
Die Schattenseiten erkennt man bei genauerem Hinschauen. Eine alte Frau verkauft Erdnüsse und als wir ihr ein paar derselben abkaufen, kommen wir in´s Gespräch. Katarina erzählt mit merklicher Bitterkeit, dass sie ihr ganzes Leben als Mikrobiologin gearbeitet habe und jetzt im Alter auf diesen Zusatzverdienst angewiesen sei. Ich gebe ihr einen deutlich höheren Betrag, wenig für mich, viel für sie, aber natürlich nicht nachhaltig. Nachdenklich ziehen wir weiter. Abends begleiten wir Stefania und Emilia zum wöchentlichen Treffen der Mission und kommen mit einigen Menschen dort in´s Gespräch.
Am nächsten Morgen brechen wir – nach wieder einmal herrlichem Frühstück von Emilia und Stefania – auf und unser Weg führt nun langsam wirklich flach durch endlose Nussbaumalleen in Richtung einer Region, die ein seltsames Relikt aus Sowjetzeiten ist. Die Straßen werden einsamer, nur noch selten überholen uns Autos und auch aus der Gegenrichtung ebbt der Verkehr ab.
Wir erreichen am späteren Nachmittag den Dnjestr, den wir auf einer Brücke überqueren. Dahinter ist die Grenze zu Transnistrien, einer abtrünnigen Provinz, in der russisch gesprochen wird und die sich vor gut 20 Jahren in einem blutigen Konflikt von Moldawien losgesagt hat. International ist Transnistrien nicht anerkannt und gehört mit einigen weiteren Regionen zur Gemeinschaft nicht anerkannter Staaten. Wirtschaftlich hängt das Land vollständig von Russland ab, das der Regierung kostenlos Gas zur Verfügung stellt, das wiederum an die Bewohner verkauft wird. Interessantes Modell.
Die Grenze ist mit einem Panzer und MG-Nestern gesichert und die Soldaten tragen die großen Schirmmützen, die man schon aus James-Bond-Filmen kennt. Ich krame aus der Seitentasche nach meinem Pass und muss dafür die Kamera rausnehmen. Sofort kommt die Ansage „No Foto! If you take a foto, I can arrest you!“ Ich versichere, auch wirklich kein Foto zu machen und die Aufmerksamkeit der Soldaten richtet sich auf unsere Trikes, die Bewunderung und Erstaunen hervorrufen. Als wir sagen, dass wir Richtung China unterwegs sind, bleibt ihnen buchstäblich der Mund offen stehen: „You are crazy!“ Ein bisschen recht hat er ja…
Wir fahren noch bis nach Tiraspol, wo wir wieder bei der polnischen Mission unterkommen und uns verwundert die Augen reiben über das Erlebte.