Nach dem Frühstück gehen wir in die nahegelegene griechisch-katholische Kirche. Da wir ein paar Minuten zu spät sind, schleichen wir uns auf Zehenspitzen von hinten hinein in die Kirche, die von betörenden liturgischen Gesängen erfüllt ist. Doch heimlich und unbemerkt kommen wir nicht in die eingeschworene Gemeinschaft der Kirchgänger; im Gegenteil dreht sich die gesamte Gemeinde kollektiv zu uns um und man kann die Neugierde förmlich anfassen, die uns entgegenkommt. Es scheint nicht alle Tage vorzukommen, dass Fremde hier in den Gottesdienst kommen.
Traditionelle Trachten in der Kirche
Der griechisch-katholische Ritus ist kürzer als der orthodoxe, aber doch deutlich länger als eine römisch-katholische Messe. Anfangs ist es spannend, den Gesängen zu lauschen, die bunten Trachten zu bewundern und zu staunen, wie exotisch die Welt bereits in Europa werden kann. Doch mit der Zeit wird es anstrengend – schließlich versteht man kaum ein Wort – und die kurze Nacht mit dem selbstgebrannten Palinca macht sich bemerkbar. Froh, dass es vorbei ist, wollen wir schon rausgehen, doch dann gibt es noch Rosenkranz…
Schließlich brechen wir auf, verabschieden uns von Petru und fahren anstrengend steile Schotterstraßen hinauf in Richtung der Hauptstraße. Keine drei Kilometer weiter werden wir von einer ganzen Familie angesprochen. Das übliche Woher, Wohin und schon werden wir wieder eingeladen: zu Kuchen, regionalen Spezialitäten und natürlich wieder Schnaps. Wenn das so weitergeht, weiß ich nicht, wie wir überhaupt bis Ende Oktober durch Rumänien kommen wollen! Beim Essen zeigen sie uns stolz die Fotoalben von der Hochzeit ihres Sohnes und versäumen auch nicht, uns zu erzählen, wieviel die Feier, das Kleid und die traditionelle Tracht gekostet haben. Wir gehen noch kurz in das neu errichtete Nachbarhaus, bewundern die moderne Küche und Daria wird mit der traditionellen Tracht verkleidet und es gibt eine kurze Fotosession. Lustig, aber jetzt reichts auch wieder, sonst kommen wir wirklich nicht voran!
Daria in traditioneller rumänischer Tracht
Wir fahren schwitzend in schwülwarmem Wetter auf unsere erste Passhöhe und lassen dann die Räder rollen, den Wind zerzaust uns das Haar und wir tauchen ein in das grüne Tal der Tisa, dem Grenzfluss zwischen Rumänien und der Ukraine. Die Vegetation ist üppig, die Dörfchen malerisch und die Menschen freundlich. Am Straßenrand werden wir herzlich begrüßt, von Männern, die vor dem Haus arbeiten, von alten Frauen, die beschaulich auf Bänkchen an der Straße sitzen wie von Kindern, die uns lachend hinterherlaufen. Alles in allem macht das Land hier trotz der offensichtlich arm und einfach lebenden Menschen einen reichhaltigen, üppigen Eindruck.
Wir sind beide cool und relaxed unterwegs!
Auf dem Weg liegt eine berühmte Sehenswürdigkeit: der Fröhliche Friedhof von Sapanta. Ein Meer aus bunten Holzkreuzen, die von kunstfertigen Bildhauern liebevoll gestaltet wurden und jedes einzelne zeigt, was dem Verstorbenen im Leben wichtig war, was er oder sie beruflich gemacht haben, welche Leidenschaften und Hobbies jemand hatte und auch wie die Umstände des Todes waren. Eine wirklich schöne Idee, etwas mehr vom Leben eines Menschen zu zeigen als Namen und Datum der Geburt und des Todes.
Unsere Route führt über einen weiteren Pass auf dessen Höhe wir einen perfekten, wilden Zeltplatz finden mit Blick auf die Höhenzüge der Karpaten und anschließend immer weiter durch das schöne Tal entlang immer höher werdender Berge. Mit dem Talabschluss nähern wir uns der bislang größten Herausforderung: Die Grenze zwischen den Provinzen Maramures und Moldova trennt ein Pass von fast 1500 Metern Höhe. Das Wetter ist zunehmend wechselhaft und ungemütlich und wir quartieren uns in einer komplett seltsamen Pension ein, außen rustikal mit Natursteinen und Holz verkleidet, innen voll mit asiatischen, afrikanischen, einheimischen und komplett nicht definierbaren Skulpturen. Nachts ist das unheimlich, morgens beim Frühstück interessant und lustig. Wir kommunizieren mit dem Besitzer auf französisch, streicheln mit einer gewissen Scheu den Wolf, den er adoptiert hat und brechen entschlossen auf in Richtung der Passstraße.
Kilometer um Kilometer, Serpentine um Serpentine treten wir uns nach oben, und irgendwann haben Bruder Regen und sein Kumpan Wind uns komplett durchnässt. Die Regenkleidung hält zwar die Nässe vom Körper fern, kalt und ungemütlich ist es aber allemal. Eine richtig üble Begegnung gibt es, als uns kurz vor einer Kurve ein Betonmischer in aberwitziger Geschwindigkeit auf unserer Spur entgegenkommt. Wir fahren soweit rechts, wie es der Abgrund erlaubt und Daria springt aus dem Trike heraus, um wenn schon nicht das Gefährt, so doch sich selbst zu retten. Ich zeige ihm einen Stinkefinger, er bremst, setzt ein paar Meter zurück und hat nichts Besseres zu tun als mich zu beschimpfen und zu fragen, ob wir uns nicht prügeln wollen. Er belässt es aber bei verbalem Gezeter und wir kommen dann doch wohlbehalten auf der Passhöhe an.
Oben ist es lausig kalt und der Wind treibt die Wolkenfetzen unerbittlich über die Bergrücken. Wir schauen frierend und nur kurz die Kirche des kleinen orthodoxen Klosters an und machen uns an die lange und steile Abfahrt, die wir erst wirklich genießen können, nachdem wir knapp einem agressiven Rudel von Straßenhunden entkommen sind. Doch der Ausblick ist spektakulär, die Landschaft von einem auf den anderen Moment hochalpin und respekteinflößend und wir brausen hinab in´s Tal, den Blick in den Bergen, unten gesäumt von dunklem Wald und oben noch immer in Streifen bemalt vom Schnee des lange vergangenen Winters.
Es wird rabenschwarz dunkel, die bislang so gute Teerstraße wird zur Schotterpiste und die kleinen einsamen Weiler am Wegesrand sind ohne Strom. Immer wieder bellen in den Wälder Hunde und es wirkt, als sei das Leben der wenigen Menschen hier von Mühe, Gefahr und Einsamkeit geprägt. „Hier sind wir in den wilden Karpaten gelandet!“ ist mein Gedanke und wir sind froh, tiefer im Tal, spät am Abend eine Pension zu finden, in der wir die Sachen trocknen und uns ein wenig von den Strapazen erholen können.